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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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wiederbeleben und Naturwissenschaft und Philosophie versöhnen, aber wissen Sie was: Er redet nicht nur um den heißen Brei herum, er lebt auch drum herum. Mich beeindruckt das schon lange nicht mehr. Wissen Sie, wie er gelebt hat, die letzten Jahre?«
    Ella schaute sie an.
    »Er hat kaum noch jemanden in seine Wohnung gelassen, außer meinem Sohn, vor dem man sich nicht einmal schämen kann, weil er selbst so eine Niete ist. Mittags ist der Herr Meeresforscher dann zum Italiener hier um die Ecke spaziert, um mit den ganzen anderen Spinnern zu spachteln, die aber wenigstens ein paar Filme gemacht haben oder sonst was. Aber er? Hat sich rausgehalten aus dem Leben und ist sich dabei auch noch besonders toll oder tragisch vorgekommen oder was auch immer.«
    Ich will das alles nicht hören, dachte Ella, ich kann es mir nicht vorstellen, und ich will es auch nicht hören.
    »Früher, ja früher, da hat er nur so gesprüht vor Ideen und Charme und Intelligenz und ich weiß nicht was noch allem. Ich hab mich davon anstecken lassen, weil ich ein bisschen Trara ganz gerne mag. Aber das war zu viel Trara. Jahrelang hab ich ihm Geld gegeben für seine Forschungen, mein Leben hinten angestellt für den großen Forscher. Und dann? Dann hat er mein Zimmer in dieser Wohnung geräumt und mich einfach rausgeschmissen aus seinem Leben. Und jetzt hasst er mich, weil ich die einzige Zeugin bin. Schauen Sie sich gut um, und wenn Sie verstanden haben, worum es hier geht, werden Sie Ihr Leben in die Hand nehmen.«
    Ich habe mein Leben in der Hand, dachte Ella.
    Horowitz’ Schwester schien Ella diesen Einwand ablesen zu können, denn sie entgegnete: »Wenn Sie Ihr Leben in der Hand hätten, dann würden Sie jetzt wer weiß was tun und nicht mit einem alten verrückten Mann ihre Wohnung tauschen.«
    »Morgen fängt mein erster Job an…«
    »Na, wenn ich das schon höre: Job!«
    Ella schaute sie an.
    Horowitz’ Schwester schaute Ella an, dann sagte sie etwas sanfter: »Tut mir leid, vielleicht ist das bei Ihnen ja etwas anderes. Mein Sohn macht nämlich einen Job nach dem anderen, um rauszufinden, was er alles nicht werden will. Er kreist nur um sich selbst herum, so wie – da müssen Sie mir jetzt aber wirklich zustimmen – Ihre ganze Generation nur um sich selbst herum kreist. Na ja, wenigstens müsst ihr euch bei all diesem Gekreisel nicht mehr selbstverwirklichen! Das war für uns nämlich auch kein Spaß, das kann ich Ihnen sagen. Bei denen von uns, die sich selbstverwirklicht haben, gab es plötzlich nur noch das eigene Selbst als Wirklichkeit; und die, die ihr Selbst nicht verwirklicht haben, mussten sich ständig anhören, sie hätten keins. Beides ist Blödsinn. Ich glaube, früher wie heute gilt schlicht: Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Wir sind selbst dafür verantwortlich, dass das Rad des Lebens rund läuft. Oder was meinen Sie?«
    »Ich weiß nicht… Rad des Lebens, schmieden? Das klingt mir alles viel zu handfest. Ich wüsste gar nicht, wo ich so etwas wie das Rad des Lebens finden sollte; und welchen Teil meines Leben ich erhitzen und auf einen Amboss hieven sollte, wüsste ich schon gar nicht. Aber am wenigsten wüsste ich wahrscheinlich, wie ich darauf dann auch noch herumklopfen sollte, damit es wieder rund läuft. Ob das meiner ganzen Generation so geht? Keine Ahnung. Vielleicht hat unser Selbst dem Leben ja in den Schwanz gebissen. Das wäre dann auch ein Rad, aber keins, das ein Schmied erkennen würde.«
    »Sie sind lustig! Ein Wirrkopf, aber lustig! Und da Sie ja auch höchstwahrscheinlich keine Freundin meines nutzlosen Sohnes sind, die sind nämlich allesamt blutleer, machen Sie vielleicht sogar was Interessantes?«
    »Ich habe gerade mein Studium beendet.«
    »Und?«
    »Und?«
    »Na ja, sind Sie jetzt Mikrobiologin, Bauingenieurin, Ärztin oder etwa doch was Nutzloses wie mein Sohn?«
    »Ich bin Literaturwissenschaftlerin.«
    »Um Gottes willen«, sagte sie, »na, dann passen Sie ja prächtig zu dem Rest unserer Familie. Immer nur in den Wolken, und das Leben zieht vorüber. Wieso denkt ihr nur alle, dass man auf dem Boden nicht weiterkommt?«
    Jetzt reichte es langsam. Auch wenn Horowitz’ Schwester das alles mit einem humorvollen Unterton sagte, reichte es Ella.
    »Was sind Sie denn«, fragte Ella scharf, »wenn ich fragen darf?«
    »Dürfen Sie! Sie dürfen mich alles fragen. Ich bin gar nichts«, sagte sie, ohne den Tonfall zu ändern, »aber ich gebe es wenigstens auch nicht vor. Ich arbeite,

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