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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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ich verdiene Geld und bestreite mein Leben, so gut es geht, mit so einem Bruder und so einem Sohn. Von meinem Mann, ich meine, meinem Exmann, ganz zu schweigen. Aber mein Bruder hat mir definitiv die meisten schlaflosen Nächte beschert. Und keine Frau weit und breit. Vielleicht hätte das geholfen, wenn er wenigstens eine Frau gehabt hätte, die ihm den Kopf wäscht, aber er wollte keine. Auch davor hatte er Angst. Eine große Liebe schiefgegangen, und danach: nur noch Vermeidungsstrategien. Lieber allein bleiben, als was zu riskieren. Mein Bruder ist ein Angsthase.«
    Ella schaute auf den Boden, sie wollte das alles nicht hören.
    »Etwas Großes hätte aus ihm werden können, aber er hat es vergeigt. Und wissen Sie, warum? Nicht etwa, weil er Angst davor hatte, es nicht zu schaffen, nein, ganz im Gegenteil: Er hatte Angst, es zu schaffen.«
    »Was denn?«, fragte Ella.
    Horowitz’ Schwester winkte ab: »Sie werden es schon noch merken: Meist stellt man sich selbst ein Bein und nicht die anderen. Jedenfalls wenn man so gestrickt ist wie mein Bruder, wenn man seinen Kopf in den Wolken hat. Er hat irgendwann gelernt, wie das geht: sich selbst zu blockieren, und dann hat er damit nicht mehr aufgehört, weil er Angst hatte, mal was anderes zu machen.«
    Während Horowitz’ Schwester sprach, drehte sie den in allen Farben glitzernden Flamingo pausenlos hin und her.
    »So, und jetzt muss ich gehen«, sagte Horowitz’ Schwester plötzlich und deutete auf die prall gefüllte Plastiktüte. »Ich wollte meinem Bruder eigentlich nur was bringen, und schon habe ich mich so in Rage geredet. Tut mir leid. Was können Sie eigentlich dafür? Na ja. Könnten Sie mir vielleicht trotzdem sagen, wo ich ihn erreichen kann? Ein Handy hat er natürlich nicht, weil er der alten Welt so nachhängt. Als ob man die alte Welt in Telefonen mit Drehscheibe erhalten könnte…, jetzt fang ich schon wieder an, merken Sie?«
    Ella gab ihr die Nummer und Adresse ihrer Wohnung, und die beiden Frauen verabschiedeten sich.
    »Wenn es Sie nicht stört, komme ich mal wieder auf einen Tee vorbei, Sie gefallen mir, Sie sind witzig.«
    Ella ging zurück in das Löwenzimmer und setzte sich aufs Bett. Was war das denn für ein Auftritt? Horowitz ein Gescheiterter? Sicher nicht. Vieles von dem, was Horowitz’ Schwester gesagt hatte, klang vielmehr nach narzisstischer Kränkung, nach einer Reaktion auf die Zurückweisung ihres Bruders und stimmte überhaupt nicht mit dem Bild überein, das Ella von Horowitz gewonnen hatte.
    Sie holte sich ein Glas Wasser, aß einen Apfel, packte ein paar Sachen in eine Kommode und schlug noch einmal das Notizbuch auf, 13.3.1992: Ich habe die Moleküle des Meerwassers erforscht. Sie erwärmen sich an der Oberfläche und sinken in die Tiefe hinab. Im Meer ist eine beträchtliche Menge Salz gelöst, und wenn man es dem Wasser entzöge, würde es einen Berg von viereinhalb Millionen Kubikmeilen bilden, der, über die Erde gleichmäßig verteilt, diese mit einer über zehn Meter hohen Schicht überziehen würde.
    Das Handy klingelte.
    Natalia war dran, atemlos: »Kannst du was für mich tun, Ella, bitte, ich muss kurz nach Hause, was nachschauen. Ich gehe dann zurück ins Krankenhaus, das verspreche ich, aber ich muss einmal nach Hause, sonst passiert vielleicht eine Katastrophe. Mein ganzes Geld, verstehst du? Fünftausend Euro!« Fünftausend?, dachte Ella: »Ich…«
    »Bitte, Ella. Ich kann das nicht alleine.«
    »Ich…«
    Ella schwieg.
    »Bitte. Wir sind doch jetzt Freundinnen.«
    »Jetzt gleich?«, fragte Ella und dachte: Ich bin nicht die Richtige für so etwas.
    »Jetzt gleich, sonst ist es vielleicht zu spät.«
    »Gut, ich komme.«
    Ihr ganzes Geld?, fragte sich Ella, woher hatte Natalia fünftausend Euro?

11
    Ella öffnete die Tür zu Natalias Krankenzimmer. Natalia saß auf dem Bettrand in dem silbergrauen T-Shirt und der Radlerhose, die sie bei dem Unfall getragen hatte. Als sie Ella sah, löste sich kurz die Anspannung auf ihrem Gesicht: »Gut, dass du da bist. Wir müssen uns beeilen.«
    »Was ist passiert?«, fragte Ella.
    Natalia antwortete nicht, sondern stützte sich auf ihre Krücken und humpelte aus dem Zimmer. Sie wirkte nicht ängstlich, sondern wie jemand, der etwas zu erledigen hatte. Ella versuchte ihr nachzukommen, aber Natalia war erstaunlich schnell trotz der Krücken. Natalia drehte sich ein paar Mal nach Ella um, sagte aber nichts.
    »Was machen wir hier?«, rief Ella ihr atemlos

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