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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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befand, die nicht seine Schwester war.
    »Wovon leben Sie?«, fragte Ellas Mutter ihn nun und schaute ihm unumwunden in die Augen.
    »Was?«, fragte Horowitz.
    »Nun, ich meine, womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?«
    Wie bitte? Horowitz stockte. Das ging nun wirklich zu weit: »Ich bestreite gar nichts«, sagte Horowitz und rückte etwas weiter ans andere Ende des Sofas.
    »Ach so«, sagte sie, »schade.«
    Sie schwiegen. Horowitz schaute in seine Tasse. Das heiße, trübe Wasser dümpelte darin vor sich hin.
    »Ich dachte…«, sagte sie und schwieg wieder. Kein Zynismus lag in ihrer Stimme und keine Ironie. »Sie wirken nicht wie jemand, der sein Leben in einem Büro verbracht hat, sie wirken wie jemand, der seine Träume gelebt hat.«
    »Hm«, sagte er.
    »Muss man Ihnen eigentlich alles aus der Nase ziehen?«
    »Nein, das müssen Sie nicht«, sagte Horowitz.
    »Oje!«, rief sie aus und verdrehte die Augen. »Verzeihung, dass ich Ihnen zu nahe getreten bin, dabei wollte ich doch einfach nur wissen, wie Sie Ihr Geld verdienen.«
    »Mein Geld?«
    »Vergessen Sie es. Tut mir leid, ich kann mir einfach nicht abgewöhnen, immer mit der Tür ins Haus zu fallen. Dabei… geht es mir gerade gar nicht so gut. Ich meine, allein hier zu sitzen…, endlich mal in der Wohnung meiner eigenen Tochter sitzen zu dürfen, ist schon bewegend genug. Können Sie sich das vorstellen?«
    Horowitz nickte zögerlich.
    »Vorhin, da hab ich mit meiner älteren Tochter telefoniert, und die nimmt ja alles so genau. Jeder Satz wird auf die Goldwaage gelegt, für alles ist man bei ihr verantwortlich. Sie macht mich für ihr ganzes Leben verantwortlich, und das hat ihr nicht einmal irgendein Therapeut eingeredet, darauf ist sie selbst gekommen. Es ist nicht zum Aushalten. Es ist nicht zum Aushalten, und es verletzt mich.«
    »Wie heißt Ihre Tochter?«
    »Jasmin.«
    Stimmt, jetzt erinnerte er sich.
    »Und Ella ist ganz anders?«, fragte er.
    »Oh, ja, ganz anders«, sagte sie, »Ella ist ein Vögelchen. Mit ihr hatte ich nie Probleme, nie. Sie liebte mich, wie ich war. Sie hat es immer genossen, dass ich anders war als die anderen. Sie brauchte all diese Regeln nicht. Sie hat mir nichts übelgenommen, nicht mal, dass ich so selten im Krankenhaus war, als sie ihren Unfall hatte, obwohl sie da noch ganz klein war. Auch das hat sie mir nicht übel genommen, obwohl sie natürlich alles Recht der Welt dazu gehabt hätte. Aber damals war ich frisch verliebt, und der Mann war aus dem Libanon und fordernd, und da wollte er nicht, dass ich in meiner freien Zeit auch noch im Krankenhaus rumsitze, und wahrscheinlich wollte ich das auch nicht, wenn ich jetzt mal ehrlich bin. Deswegen bin ich von der Arbeit nur schnell bei Ella reingerauscht, hab ihr ein Küsschen gegeben und bin wieder rausgerauscht. Und das hat sie mir nicht übel genommen. Sie hat ein großes Herz. Sind Sie nicht viel zu alt für sie? Ich meine, wie alt sind Sie eigentlich?«
    Horowitz wich zurück: »Ich bin nicht…«
    »Ja, ja«, sagte sie, »ich auch nicht.«
    Horowitz stand auf.
    »Entschuldigung«, sagte Ellas Mutter, »jetzt ist es schon wieder passiert. Entschuldigung, ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten. Ich bin nur gerade so aufgewühlt, und wenn ich aufgewühlt bin, dann hab ich mich noch weniger im Griff, und dann sage ich immer die unpassendsten Dinge. Wissen Sie, wie Ella das immer nennt, wenn ich so bin? Mutters Tourrettesyndrom.«
    »Hm«, sagte Horowitz und setzte sich wieder hin.
    Plötzlich fiel ihr Blick auf den kleinen pinkfarbenen Vogelkäfig aus Plastik in Ellas Bücherregal. Ellas Mutter stand auf, nahm den Käfig, suchte auf der Unterseite nach einem Schalter und knipste ihn an. Der Vogel begann sich zu drehen, seinen Schnabel auf- und zuzuklappen und dabei ganz lieblich zu zwitschern. Ellas Mutter schaute ihn mit Tränen in den Augen an: »Wenn Sie wüssten, wie sehr mich das rührt.«
    Horowitz betrachtete den Käfig schmunzelnd, das Vögelchen gefiel ihm, nur der feuchte Blick von Ellas Mutter machte ihn verlegen. Er wandte sich wieder dem Bücherregal zu und versuchte die Titel auf den Buchrücken der in der untersten Reihe stehenden Bücher zu entziffern.
    »Wollen Sie denn hören, was es mit dem Vogelkäfig auf sich hat?«
    Horowitz nickte. Den ersten Namen hatte er nun entziffert. Zora Neale Hurston, von der hatte er nie gehört, nach der würde er Ella fragen, wenn sie das nächste Mal sprachen.
    »So einfach war das natürlich nicht

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