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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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mich recht erinnern kann…«
    Horowitz lachte, und Ellas Mutter fuhr fort: »Wo ist sie überhaupt? Ist sie nicht da?«
    »Sie ist in meiner Wohnung«, antwortete Horowitz.
    Sie schaute ihn erstaunt an und löste ihren türkisfarbenen Chiffonschal: »In Ihrer Wohnung? Was soll das hier sein? Ein Wohnungstausch?«
    »Ja, ein Wohnungstausch.«
    »Und warum?«
    »Wollen Sie hereinkommen?«, fragte Horowitz, erleichtert, nicht weiter über seine Vergangenheit nachdenken zu müssen.
    »Ja, gerne, sehr gerne.«
    Horowitz zögerte: »Tee?«
    »Ja, das auch«, sagte sie und rollte ihren Schal zu einer winzigen Kugel zusammen.
    Das auch?, dachte er und rührte sich nicht von der Stelle. Wenn sie hier länger stehenblieben, dann wäre sicher gleich der Mantel dran, und dann die Bluse und dann…
    »Und worauf warten Sie?«, fragte sie.
    »Worauf ich warte?« Er erschrak.
    »Na ja, noch stehen wir hier herum.«
    Horowitz stutzte.
    Denn nun löste Ellas Mutter die Knöpfe ihres Mantels einen nach dem anderen und sagte: »Und schauen Sie nicht so ängstlich: Sie müssen mich nicht über die Schwelle tragen, ich war vier Mal verheiratet, glauben Sie mir, das reicht erst mal.«
    Horowitz lachte wieder, und der Mantel war offen.
    Horowitz machte eine einladende Geste, sagte: »Dann gehen Sie doch vor. Sie kennen sich ja sicher hier besser aus als ich«, und fing dabei einen Blick von Ellas Mutter ein, der zerbrechlich und mädchenhaft wirkte.
    »Das denken Sie«, sagte Ellas Mutter mit heiserer Stimme, während sie sich aus ihrem Mantel schälte. »Aber ich war noch nie hier. Ella lässt mich nicht rein.« Ihr Blick flatterte.
    Und auf einmal wirkte sie nicht mehr so schnoddrig und drall wie vor ein paar Minuten.
    Horowitz nahm ihr den Mantel ab: »Sie lässt Sie nicht rein?«
    »Ist nicht zu verstehen«, sagte Ellas Mutter. »Versuchen Sie es erst gar nicht.«
    Sie betraten hintereinander die Wohnung und schauten sich währenddessen um.
    »Ist es nicht seltsam«, fragte Ellas Mutter, »dass wir beide noch nie hier waren, und Ella jetzt nicht hier ist, aber wir?«
    Sie waren in der Küche angekommen. Hier stand ein weißer Schrank, und auf den Küchenschubladen lag eine dunkelbraun gebeizte Arbeitsplatte. An der einen Wand hing ein großes, kaschiertes Foto von einem weißen Hirsch vor einem dunkelgrünen Wald und in der Küche zwei kleine Zeichnungen: luftige, poetische Kritzeleien wie von Kinderhand gezeichnet und gleichzeitig raffiniert komponiert, rosa, hellgrün, tiefes Violett. »Schöne Bilder, sie haben was Befreiendes«, sagte Ellas Mutter. Sie hatte den Wasserkocher schon aufgefüllt und Ellas Schrank nach Tee durchsucht. »Diese Malerin muss niemandem etwas beweisen.«
    »Die Malerin?«
    »Na, würde ein Mann so unprätentiös malen? Aua!« Sie hatte einen Teil der Teeblätter verschüttet und sich am Wasserkocher verbrannt. Sie fluchte leise vor sich hin, ließ den Tee kaum eine Minute ziehen und kippte dann das leicht gefärbte Wasser in zwei dunkelgrüne Becher. Dafür, dass sie noch nie in Ellas Wohnung war, bewegte sie sich mit erstaunlicher Sicherheit und nahm die Küche sofort in Beschlag. Vielleicht war genau das der Grund, warum Ella ihre Mutter nicht in die Wohnung ließ: weil sie vielleicht alles sofort in Beschlag nahm, nicht nur die Küche.
    »Dabei verstehen Ella und ich uns eigentlich sehr gut«, sagte sie, »ich meine, wir sind uns eigentlich sehr ähnlich. Das ist mit meiner älteren Tochter ganz anders, sie und ich: tja, das waren immer schon Welten, aber Ella…«
    Ellas Mutter nahm die Tassen, stellte sie auf den kleinen hölzernen Tisch, der aussah wie eine alte Tempeltür, und setzte sich auf das Sofa: »Ich hoffe, er ist jetzt lange genug gezogen. Ich habe keine Geduld für Tee. Gefällt es Ihnen?«
    »Was?«, fragte Horowitz.
    »Na, das Zimmer.«
    »Ja«, sagte er, »sehr sogar.«
    »Meine Tochter hasst Muster, wissen Sie. Ich verstehe das nicht.«
    Horowitz setzte sich zu Ellas Mutter aufs Sofa und nahm einen Schluck Tee. Er wollte sich sehr gerne mit ihr über Ellas Leben unterhalten, doch kaum saß er, fühlte er sich unwohl, als traute er ihr nicht, weil sie diese zur Spontaneität neigende sinnliche Kraft ausstrahlte. Diese Art der Sinnlichkeit flößte ihm immer noch größten Respekt ein; ihre andere Seite hingegen, die durchscheinende, flüchtige, zog ihn an, das konnte er nicht verhehlen. Außerdem war es das erste Mal seit langer Zeit, dass er sich allein mit einer Frau in einer Wohnung

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