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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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damals«, sagte Ellas Mutter und holte nun ein Taschentuch hervor. »Auch das mit ihrem Unfall war nicht so einfach. Natürlich war das ein Fehler von mir, mich im Krankenhaus nicht richtig um sie gekümmert zu haben. Ella behauptet jetzt sogar, dass ich nie da gewesen wäre, und erwähnt in ihren Erzählungen immer wieder diese Dame vom Jugendamt mit ihren roten Strümpfen. Aber ich versichere Ihnen: Die hat es nie gegeben! Und ich hab Ella auch selbst vom Krankenhaus abgeholt und nach Hause gebracht und ihr die geliebten Ringelnudeln gekocht und sie damit gefüttert. Aber das hat sie alles vergessen. Für sie steht fest, dass nicht ich, sondern der Fahrer des Libanesen sie aus dem Krankenhaus abgeholt hat. Aber auch das stimmt nicht. Er hat sie die Tage danach immer wieder zu einer kleinen Spritztour mitgenommen, aber aus dem Krankenhaus hab ich sie abgeholt. Nun ja, vielleicht geht es auch gar nicht darum. Vielleicht geht es darum, dass man eben Fehler macht. Jedenfalls dachte ich immer, Ella hätte ihre ganze Kindheit im Nachhinein verdammt, weil ich diesen einen Fehler gemacht habe. Und jetzt stellt sie sich einen Vogelkäfig in ihre Wohnung, und das treibt mir wirklich die Tränen in die Augen.«
    Horowitz schaute sie fragend an.
    »Ja, wissen Sie, wir lebten in München, in Schwabing, und ich hatte gerade die vierte Ehe hinter mir – jede einzelne war wunderbar, aber nicht wirklich lebbar, weil meine Männer immer im Ausland weilten und irgendwann von ihren Frauen (den anderen, meine ich) die Pistole auf die Brust gesetzt bekommen haben – und so waren sie vielleicht doch nicht so wunderbar, aber davon wollte ich ja gar nicht erzählen. Ich wollte von der Zeit mit den Blumen erzählen, der Zeit, in der ich unsere Wohnung über und über mit allen möglichen Blumen dekorierte, und von der Zeit mit den Vögeln. Es gab diesen neuen Blumenladen im Tal, und dort musste man nicht immer gleich bezahlen – und das war ja schon immer mein liebstes Geschäftsmodell! Dort wurde ich also Stammkundin. Und so hatten wir wunderbare Sträuße auf dem Esstisch, riesige Sträuße, langstielige Rosen und Lilien, bunte knubbelige Ranunkeln, Tulpen und Callas, und irgendwann hatten wir dann auch Sträuße auf allen anderen Tischen, und als die Stellfläche nicht mehr reichte, steckte ich sie in Bodenvasen, die den Flur säumten und die Ecken des Wohnzimmers; auf den Ablageflächen der Badewanne und den Kommoden – überall standen Blumen in allen Farben des Regenbogens, vierzig, fünfzig Sträuße. Es war herrlich. Na ja, vielleicht waren es auch nicht ganz so viele, aber es fühlte sich so an, so überbordend. Ich fühlte mich wie nach einer großen Premiere. Als hätte ich die ganze Spielzeit noch vor mir. Dabei bin ich nie aufgetreten, wissen Sie, nie. Aber das ist eine andere Geschichte. Die erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal.«
    Horowitz schluckte.
    »Ella konnte es immer kaum erwarten, von der Schule nach Hause zu kommen, um zu sehen, ob es neue Blumen zu entdecken gab, die sie noch nicht kannte. Und jede einzelne Blüte erklärte ich ihr. Das war mir immer wichtig, dass sie auch was lernt, nicht nur Mathematik und so was, sondern auch was Schönes. Jedenfalls durfte sie sich jeden Tag die schönste Blüte aussuchen und hinters Ohr stecken. Sie durfte der alten Dame aus dem ersten Stock kleine Sträuße binden, ihrer Lehrerin eine Lilie mitbringen und jede Menge Blumen zwischen den Seiten eines dicken Buchs pressen und trocknen. Jasmin wollte das alles nicht. Kaum war sie zu Hause, riss sie die Fenster auf und schmiss mit gerümpfter Nase die schlaffen Stengel weg. Sie machte Würgegeräusche, wenn sie abgestandenes Blumenwasser in den Ausguss kippte, und nannte Ella eine Schleimerin, wenn sie Blumen in die Schule mitnahm. Doch Ella und ich waren glücklich. Na ja, und wie es so kommt: Irgendwann war es dann vorbei mit den Blumen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie kleinkariert die Besitzerin des Blumenladens im Endeffekt dann doch war. Sie schickte eine Mahnung nach der anderen, schien das Prinzip von Stammkundschaft überhaupt nicht verstanden zu haben. Natürlich hatte ich das geahnt irgendwie, aber wenn ich immer nur das gemacht hätte, was ich mir hätte leisten können, dann wäre das phasenweise einfach zu karg gewesen, das können Sie mir glauben. Ich war niedergeschmettert, vor allem für Ella tat es mir leid, aber dann entdeckte ich einen weißlackierten schmiedeeisernen Käfig, und schon war es um

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