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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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gehe jetzt. Ich bin Ihnen zu viel, das merke ich schon die ganze Zeit. Sie haben auch so ein ausgetrocknetes Herz. Wie Sie mich jetzt allein anschauen! Wenn das keine Angst ist! Das flackert ja nur so. Dabei habe ich Ihnen mehr anvertraut, als Sie sich vorstellen können. Und dann stehen Sie einfach auf und gehen! Soll ich Ihnen was sagen? Jeder einzelne irakische Hallodri in meinem Leben hatte mehr Trost zu bieten! Von dem Trost, mit dem meine treulosen Ehemänner mich überschüttet haben, ganz zu schweigen.«
    Horowitz war vor den Kopf gestoßen. Mit einer solchen Reaktion hatte er überhaupt nicht gerechnet. Und schon ging es weiter.
    »Wissen Sie was?«, fragte Ellas Mutter. »Sie sind auch so eine Trockensuppe. Insofern passen Sie bestens in den Rest meiner Familie. Suchen Sie sich doch eine Edeltraut! Ich mache da sicher nicht mit. Auf Wiedersehen.«
    Damit erhob sie sich, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, stellte den Vogelkäfig ins Regal und ging in Richtung Tür.
    Horowitz stand mit gesenktem Haupt auf und überlegte fiebrig, was er darauf entgegnen konnte. Wenn sie jetzt ging, dann würde alles wieder von vorne anfangen, die Bankrotterklärung, die Zweifel, die Angst. Da fiel die Tür ins Schloss, er setzte sich aufs Sofa, stützte seinen Kopf in beide Hände und atmete einmal tief aus. Er durfte sie nicht einfach gehen lassen. Warum, wusste er nicht, aber das Gefühl war ganz eindeutig: Diese Frau durfte er nicht gehen lassen. Sie war an einem Punkt in sein Leben geschneit, an dem alles auf der Kippe stand und vielleicht… Er schnappte sich seinen Mantel und lief ihr hinterher. Auf dem letzten Treppenabsatz hatte er sie eingeholt: »Warten Sie!«, rief er atemlos.
    Ellas Mutter schaute ihn mit flirrendem Blick an.
    »Warten Sie«, bat er noch einmal.
    Sie sagte nichts.
    »Sie haben recht, ich bin trockengelegt, oder wenn Sie so wollen, eine Tütensuppe, aber…«
    Sie schaute ihn an.
    »Aber…«, er hielt inne, »ich meine nur, Sie sind keine.«
    Sie schaute skeptisch.
    »Und ich will auch keine Edeltraut.«
    »Dann können wir ja morgen Abend zusammen was trinken gehen.«
    »Sehr gerne.«
    »Holen Sie mich um acht ab«, sagte sie, nannte ihm die Adresse ihres Hotels, gab ihm einen luftigen Kuss auf die Wange, drehte sich um und ging beschwingten Schrittes davon.
    Horowitz blieb auf dem Treppenabsatz stehen, bis er Ellas Mutter nicht mehr sehen konnte, dann ging er nach oben. Er hatte seine Wohnung getauscht, und der Zufall hatte ihm etwas zugespielt, mit dem er am wenigsten gerechnet hatte: eine Frau; eine Frau, die sich um Kopf und Kragen redete, eine Frau, die er sich nie gewünscht oder vielleicht doch gewünscht hatte, aber eine Frau. »Trockensuppe«, hörte er die Stimme von Ellas Mutter, und er musste lachen.
    Er setzte sich noch einmal auf den Platz, auf dem er gerade gesessen hatte, dann auf den Platz, auf dem Ellas Mutter gerade gesessen hatte. Dort war es wärmer.

14
    Ella rannte mit wackeligen Knien an dem blauen Porschewrack vorbei, ohne noch einmal hinzusehen, stieg in die U-Bahn ein und stellte ihr Telefon aus. Sie saß nun dicht an die Trennwand des Waggons gedrückt. Sie hatte Angst vor dem Blick des Obdachlosenzeitung-Verkäufers, der gleich am anderen Ende des Waggons beginnen würde, seinen Spruch aufzusagen; sie hatte Angst vor dem schwarzen Hund, den seine kurze Leine würgte und der versuchte, die Balance zu halten; und sie hatte Angst vor dem trockenen Husten der alten Frau gegenüber. Die Reifen quietschten schriller, und der Wagen fuhr wackeliger als sonst, als säße er nicht richtig auf den Schienen. Der Sitz neben ihr war aufgeschlitzt, die Fenster beschmiert, die Arme des Mannes neben ihr von roten Pusteln übersät. Es gelang ihr nicht mehr, sich dieses Leben vom Hals zu halten.
    Ella sperrte Horowitz’ Wohnung auf und ging durch den langen Flur in den »großen Salon«. Sie wunderte sich über das Geräusch, das ihre Schritte auf dem Boden machten. Sie setzte sich auf das Sofa, strich sich durch die Haare, die sich anders anfühlten als sonst, so als wären es nicht ihre, und schaute auf das leere Aquarium. Sie war jetzt ganz ruhig, kein Herzrasen mehr, kein pochender Magen. Sie war jetzt mittendrin in etwas, das sich wie Angst anfühlte, auch wenn es nicht stürmte, sondern gespenstisch still war. Ihr war noch nie klar gewesen, was es wirklich bedeutete, sein Leben selbst in der Hand zu haben.
    Sie schaute auf das leere Aquarium. Eigentlich wollte sie es ja

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