34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
wären, Ihrem Bruder noch ein weiteres und letztes Mal aus der Patsche zu helfen, damit er sein Werk vollenden und endlich den Ruhm ernten kann, den er trotz aller Scherereien, die er Ihnen bereitet hat, doch verdient hat. Er widmet es Ihnen auch. Namentlich. Vor- und Zuname.«
Horowitz’ Schwester drückte den Rücken durch und aß, ohne mit der Wimper zu zucken, ihren Kuchen. Horowitz trank mit gesenktem Blick seinen Tee, während Sibylle einen hochroten Kopf bekam und sich in der Wohnung umschaute.
»Dürfte ich kurz Ihr Badezimmer benutzen?«, fragte Sibylle dann, ließ sich von Horowitz’ Schwester den Weg weisen und verschwand.
Horowitz saß da.
Seine Schwester stand auf und ging im Wohnzimmer auf und ab. Dann flüsterte sie: »Ich glaube ihr kein Wort, das muss dir doch wohl klar sein.«
Horowitz schaute sie erschreckt an: »Aber…«
»Kein Wort, wirklich, nicht ein einziges. Diese Geschichte mit diesem Professor Mainzelmann, sollte die mich beeindrucken oder was?«
»Sibylle ist…«
»Erspar mir deine Beschwichtigungen. Oder gehst du im Ernst davon aus, dass ich dir mehr glaube als ihr?«
Horowitz schwieg.
Seine Schwester wendete ihm den Rücken zu. »Aber weißt du, was mich am meisten erstaunt an der ganzen Sache?«, fragte sie nach einer kurzen Pause. »Sie scheint dich wirklich zu mögen.«
Horowitz blickte auf.
»Ich frag mich die ganze Zeit, wie sehr ich jemanden mögen müsste, um mich derart um Kopf und Kragen zu reden«, fuhr seine Schwester fort.
»Sie hat…, sie ist…«, stotterte Horowitz.
»Sie ist eine Granate, genau wie ihre Tochter, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, und damit bist du das erste Mal in deinem Leben in der richtigen Gesellschaft. Sie wird dein Leben auf Vordermann bringen, du wirst schon sehen.«
Horowitz legte seinen Kopf in beide Hände.
»Das hätte ich dir nicht zugetraut«, fuhr sie fort. »Du hast tatsächlich eine Frau gefunden, die dich mag, und dann auch noch so eine Frau, eine Frau, die sich von dir überhaupt nicht beeindrucken lässt und dich trotzdem mag. Und weißt du was? Damit erstaunst du mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich.«
Dann kam Sibylle zurück, und der Besuch endete ziemlich abrupt. Horowitz’ Schwester sagte kaum noch ein Wort und verabschiedete Sibylle und Horowitz mit einem sphinxhaften Lächeln. Sibylle und Horowitz waren überzeugt, dass ihr Besuch fehlgeschlagen und von dieser Seite keinerlei Unterstützung zu erwarten war. Sibylle war deprimiert, zweifelte an ihrer Schauspielkunst, der Frauensolidarität und nahm noch am selben Abend die Stelle im Café an.
24
»Könntest du mir einen großen Gefallen tun und nächste Woche mit zu meiner Schwester kommen? Sie hat uns nun schon zum dritten Mal zum Abendessen eingeladen, und diesmal konnte ich es nicht mehr ausschlagen.«
»Gern«, sagte Paul, »solange ich mich nicht von ihr behandeln lassen muss.«
Ella lachte.
Ella hatte wochenlang Ausreden erfunden, um dieses Treffen zu vermeiden, aber nun kam sie nicht mehr drum herum. Jedes Mal, wenn sie bei ihrer Schwester anrief, um sich mit den Kindern für den Zoo zu verabreden oder um einfach nur zu fragen, warum der Montagnachmittag mit ihrer Mutter schon wieder ausgefallen war, erkundigte sie sich nach Jasmins Befinden, und jedes Mal überging Jasmin die Frage und drängte Ella stattdessen, ihr endlich einmal Paul vorzustellen. So als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Ella irritierte Jasmins Haltung, sie dachte, nach ihrem letzten Gespräch in Horowitz’ Wohnung würde Jasmin sie stärker ins Vertrauen ziehen, aber Jasmins Fassade war unversehrt, und sie verhielt sich, als hätte das Gespräch gar nicht stattgefunden. Und deswegen wollte Ella ihr auch Paul nicht vorstellen. Ganz abgesehen davon, dass sie es immer schon furchtbar fand, ihren Freund vorzuführen.
Doch dann hatte Jasmin gesagt, dass sie etwas Wichtiges zu erzählen hätten, etwas ganz Wichtiges. Und da musste Ella sofort an Jasmins Blut denken, in dem zu wenig weiße Blutkörperchen herumschwammen oder zu viele (so genau hatte sie das nicht verstanden), und mit diesem Bild vor Augen fiel selbst ihr nichts mehr ein, das gegen einen Abend zu viert gesprochen hätte, obwohl natürlich alles gegen einen Abend zu viert sprach, einfach alles.
Und so standen Jasmin und Leo Arm in Arm in der Tür und strahlten erwartungsvoll von oben die Stufen herab, als Ella und Paul die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstiegen, Ella mit schlechter Laune, Paul
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