34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer
schrecklichen Sachen für mich gemacht hast?«, fragte sie.
Er nickte.
»Und noch was: Versprichst du mir bitte, dass wir erst mal keine Kinder zusammen machen, ja? Ich weiß nämlich nicht, wie das geht.«
»Du weißt nicht, wie das geht…«, wiederholte er lächelnd und fuhr los.
Ella schlief noch im Auto ein. Paul versuchte sie eine ganze Weile lang zu wecken, aber vergebens. Also schnallte er sie ab und trug sie nach oben in sein Bett. Er zog sie aus und deckte sie zu. Sie schlief einfach weiter, zusammengerollt wie eine Katze.
25
Ella hatte organisiert, dass Natalia jetzt Kurierdienste für den Sender fuhr. So konnten sie sich mehrmals die Woche sehen, wenn auch nur zwischen Tür und Angel. Natalia kam jede Woche mit einer neuen Haarfarbe oder einer neuen Frisur in Ellas Büro hereingeschneit. Sie meinte, als Sängerin reiche es nicht, gut singen zu können, man müsse sich auch gänzlich neu erfinden können. Natalia habe sich ein Beispiel an Ella genommen und eine Biographie von Madonna gelesen, und die müsse es ja wohl wissen.
Bei ihrem letzten Besuch hatte Natalia Ella gebeten, am nächsten Sonntag um zehn Uhr zum Ludwigkirchplatz nach Wilmersdorf zu kommen. Als Ella gezögert hatte, weil sie zu dieser Zeit am liebsten mit einem Buch im Bett lag, meinte Natalia: »Weißt du noch, was ich dir am letzten Tag im Krankenhaus versprochen habe?«
Ella schaute sie fragend an.
»Dass ich dich überraschen werde. Ich hab das nicht vergessen, es hat nur etwas länger gedauert, als ich dachte. Aber jetzt ist es so weit. Monatelang hab ich auf diesen Tag gewartet, und jetzt ist er da. Und es ist ein Adventssonntag. Da kannst du nicht kneifen. Du bist am Sonntag um zehn an der Westseite des Ludwigkirchplatzes, oder ich schleif dich eigenhändig hin!«
Und so stand Ella am Sonntagmorgen auf dem Platz mit der großen Kirche und schaute sich suchend um. Es schneite, und die Glocken läuteten. Natalia war nirgends zu sehen. Auf einmal tippte jemand Ella von hinten auf die Schulter. Ella drehte sich um. Hinter ihr stand der Weißhaarige.
»Was? Was wollen Sie?«, stotterte Ella und wich zurück.
»Bist du Ella?«, fragte der Weißhaarige mit einer freundlichen Stimme und streckte Ella die Hand entgegen.
»Ja, aber wer sind Sie, ich meine, bist du Harry?«
»Harry? Wer ist Harry?«
»Harry ist…«, sagte Ella, …der Mann, der Natalia verfolgt, dachte sie und sagte es nicht.
»Ich kenne keinen Harry, da müssen Sie mich verwechseln. Ich bin Krzysztof, Natalias Bruder.«
»Natalias Bruder? Du bist nicht Harry? Sie hat einen Bruder?«
»Na ja, sie schämt sich ein bisschen für mich, weil ich diese weißen Haare habe und sie mich für einen Idioten hält, aber ihr Bruder bin ich trotzdem. Und von einem Harry hab ich noch nie was gehört. Natalia hat mir gesagt, dass ich dich mit in die Kirche nehmen soll«, sagte er mit einem Akzent, der sie an Natalias Akzent erinnerte, auch wenn er stärker ausgeprägt war.
»In die Kirche?«
»Überraschung!«, sagte der weißhaarige Krzysztof, der so harmlos wirkte, dass es schwerfiel, ihm nicht zu glauben. »Natalia hat mir schon erzählt, dass du nicht mal getauft bist, aber das macht ja nichts. Die lassen dich trotzdem rein. Da gibt’s keinen Türsteher«, sagte er.
Ella lächelte ihn unsicher an.
Der Weißhaarige, von dem Natalia ihr im Krankenhaus erzählt hatte, war Natalias Bruder und kein Fremder, der Natalia verfolgte, vor dem sie Angst hatte, der sie wegen krummen Geschäften erpresste? Und die Fahrt in ihre Wohnung? Was war das dann gewesen?
»Kannst mir ruhig glauben. Ich tu dir nichts«, sagte Krzysztof, der ihr Zögern bemerkt hatte. »Vor ihrer Operation sahen wir uns sogar total ähnlich, jetzt haben wir nur noch die gleichen Nasen. Schau!«, sagte Krzysztof und drehte sich ins Profil.
Er schien nicht die geringste Ahnung zu haben, was Natalia alles über ihn bzw. den Mann mit dem weißen Haar erzählt hatte.
Die Kirche war voll besetzt. Krzysztof tauchte seinen Zeigefinger einmal in das Becken mit dem Weihwasser, bekreuzigte sich und lotste Ella zielgerichtet nach vorne. Und schon begann die Messe.
»Und Natalia?«, fragte Ella.
»Pscht!«, sagte Krzysztof und legte seinen Finger an die Lippen. Ella schaute sich um. Viele Familien, einige elegante ältere Ehepaare und mittendrin Krzysztof, der sich hier mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegte, der wusste, wann man aufstehen musste, sich zu bekreuzigen und zu beten hatte. Als der Organist das
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