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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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geschlagen hatten und sich wahrscheinlich darin verbargen, wenn türkische Reiter im Tal am Fuß des ragenden Gebirges auftauchten. Wie oft mochten diese sarkophagartigen Gelasse das inbrünstige ›Kyrie Eleison‹ gehört haben, wenn die frommen Männer beteten, dass die Heiden abziehen mögen, ohne im Haus Gottes nach Priestern oder Pilgern zu suchen. Kein Wunder, dass Bruder Anastasius in seinen Fieberträumen Sarazenen und den heiligen Stephanos erblickt hatte.
    »Für mich wird es jetzt ein bisschen eng, Sir«, sagte Robinson hinter ihm.
    »Wollen Sie zurück, Crispus?«
    »Nein, ich werd's schon schaffen. Wenn's nur nicht noch enger wird.«
    Tate leuchtete in den Spalt zur zweiten Kammer. Der Gedanke, dass er sich durchschieben mußte, krampfte ihm den Magen zusammen. Über der Wölbung des Stollens gab es nur zwei oder drei Meter Fels und Sand, beruhigte er sich selbst. Aber eineinhalb Meter Erde genügten schon für das Grab eines Menschen. Er dachte an den alten Mönch, der hier ganz allein bei Kerzenschein gewerkt hatte. Das gab Tate neuen Mut – oder jenen blinden Glauben, der dem Menschen die Gewissheit verleiht, dass er niemals einsam und verlassen ist, nicht einmal in solch schrecklicher Finsternis.
    »Die Öffnung ist wirklich schmal, Crispus«, sagte er, nicht nur vor Anstrengung schwer atmend. »Ich muß sie erweitern. Bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Er schob sich mühsam vor, denn er hatte keinen Platz, auf allen vieren zu kriechen. Das Gefühl, in einer Falle zu stecken, wurde stärker, aber Tate zwang sich, nicht daran zu denken, und arbeitete sich ruckweise Stück für Stück an den Spalt heran. Er wühlte in dem lockeren Geröll, das den Weg verlegte, und schließlich gelang es ihm, die Öffnung etwas zu vergrößern. Staub verkrustete seine Lippen und drang ihm beißend in die Augen.
    Da lösten sich plötzlich Felsbrocken aus der Wölbung, begruben seine Hände und verschütteten die Lampe. Einen Moment war Tate leicht benommen vom harten Aufprall eines Steines, der ihn an der Stirn getroffen hatte. Jetzt umkrallte wirkliche Angst sein Herz. Der herabgefallene Schutt hielt seine Arme fest, und er hatte die grauenhafte Vorstellung, dass der Stollen dem Druck nicht länger standhalten und die Granitmassen ihn hier unter der Mauer des Katharinenklosters begraben würden.
    »Sind Sie o.k. Sir?« flüsterte Robinson. Wie eine tröstliche Vision durchdrang ein Lichtstrahl die stickige Luft, und Bill Tate sah seinen eigenen Schatten in den Staubschwaden, die vor ihm in die zweite Krypta wirbelten.
    Behutsam zog er die Arme unter den Steinen hervor; dass es dabei einige Schrammen gab, kümmerte ihn nicht. Aber die Lampe war weg. »Geben Sie mir Ihre«, sagte er zu Robinson, nach hinten greifend. Als er sie in der Hand fühlte, zog er sie dicht am Gesicht nach vorn, streckte den Arm aus und richtete den Strahl in die nächste Kammer.
    Diesen Raum hatte Bruder Anastasius teilweise gesäubert. Zwar war alles von einer dicken Staubschicht bedeckt, aber der Boden war von Hindernissen frei. Tate verspürte eine Gänsehaut, als er bemerkte, dass sich an den Wänden fahlgraue Schädel und Knochenreste reihten. Jeder dieser Schädel war so gelegt worden, dass die leeren Augenhöhlen nach oben gekehrt waren, unter zwei Meter Fels dem gesegneten Sonnenlicht und Gott zugewandt.
    Tate kroch weiter, durch einen primitiv gefügten Bogen zwischen den Kammern und dann über unebenen Boden. Der kleine blaßgelbe Strahl der Lampe hüpfte und tanzte an den Wänden entlang, über die grinsenden Schädel toter Mönche. Sie mochten zu anderen Zeiten von anderen Soldaten niedergemetzelt worden sein, dachte der General. Sie hatten jenen Preis bezahlt, den die Schwachen oft bezahlten, weil es verheißen war, dass die Erde ihrer sein werde.
    Schließlich konnte er im schwachen Licht die Stirnwand sehen, hinter der sich die Steintreppe zum Beinhaus befinden mußte. Eine bange Sekunde lang suchte er vergeblich die Holztür. Er hatte erwartet, dass sie sich in Farbe und Material auf den ersten Blick von der Mauer abheben würde, doch selbst auf kurze Distanz glichen die Bohlen in Tönung und Beschaffenheit völlig dem grauroten Boden und den Pfeilern. Bäume waren in dieser Wildnis so selten, dass Bruder Anastasius die Tür aus einem Holz gezimmert haben mußte, das so uralt und versteinert war wie der Berg selbst.
    Als Tate sie erreichte, atmete er tief und wartete auf Robinson. An dieser Stelle war die Krypta etwa drei Meter

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