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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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das Deck; die Kernkraftturbinen ließen den Zerstörer mit einer Geschwindigkeit von vierzig Knoten durch das Südchinesische Meer dahineilen.
    »Sie haben noch nicht in den Wind gewendet, Genosse Kapitän«, sagte der Offizier, den Blick unverwandt auf das Radarbild der USS ›Nimitz‹ gerichtet, die etwa zehn Seemeilen vor der ›Juan Bosch‹ in rascher Fahrt durch das laue Wasser pflügte. »Der Gegner empfängt viele Funkmeldungen aus Japan, seine Bomber sind aber noch nicht startklar gemacht.«
    Akimow überlegte. Er war sich über den nächsten erforderlichen Schritt nicht im klaren. Immer hatte er gewußt, dass es eines Tages soweit sein würde. Die Kremlgewaltigen und die Oberen im Verteidigungsministerium konnten wohl ausführliche Weisungen geben und umfangreiche Dossiers mit Aktionsplänen für den Ernstfall verfassen, doch letzten Endes würde alles immer auf die persönliche Entscheidung eines einzelnen Mannes hinauslaufen – auf der Kommandobrücke eines Schiffes, im Cockpit eines Flugzeugs …
    Der Kapitän hatte den Befehl, einem Flugzeugträger der amerikanischen Siebenten Flotte zu folgen – in diesem Falle der ›Nimitz‹ –, jeweils in richtiger Abschussposition für eine Atomrakete, wenn der Ernstfall kam. Akimow und die ›Juan Bosch‹ mit ihrer dreihundertköpfigen Besatzung hatten nur diese eine Aufgabe. Man rechnete nicht damit, dass sie lange genug lebten, eine zweite Rakete zu starten; denn die Amerikaner kannten die Position und das Einsatzziel der ›Juan Bosch‹ genau. Auf dem Luftraumradarschirm sah der Kapitän die acht Jagdbomber der ›Nimitz‹ -Kampfstaffel in der bedrohlichen Distanz von drei Seemeilen.
    Diese Situation bot ein gutes Schulbeispiel für das Zusammenwirken von Ballistik, Psychologie und Politik, dachte Akimow. Gegebene Faktoren: ein drohender bewaffneter Konflikt zwischen der Sowjetunion und den USA, weiteres: der Einsatzbefehl der ›Nimitz‹, Städte im fernöstlichen Asien zu bombardieren, und die Tatsache, dass sowohl die ›Juan Bosch‹ wie auch die Jagdbomber der ›Nimitz‹ mit entschlossenen patriotischen Irren bemannt waren. Zu berechnen: die Höhe absolut sinnloser Verluste, die daraus resultierte, wenn der Flugzeugträger, der Zerstörer und die Düsenmaschinen, jedes zur gleichen Zeit, jedes sein eigenes Ziel, mit x Megatonnen zur n-ten Potenz angriffen …
    »Genosse Kapitän!« Die Stimme des Radaroffiziers klang in dem engen stählernen Raum seltsam dünn. »Die ›Nimitz‹ wendet in den Wind!«
    Ohne zu zögern, gab Alexander Fjodorowitsch Akimow, dreiundvierzig Jahre alt, Vater von vier Kindern, die zur Zeit in Kronstadt – im Kriegsfall eines der Hauptziele des gegnerischen Atomschlags – zur Schule gingen, laut und deutlich den Befehl: »Schiff klar zum Gefecht, Raketen abschußbereit machen.«
    Der Gang begann bei einem Dorngestrüpp innerhalb der Mauer einer Begräbnisstätte hinter den nördlich gelegenen Gärten. Er war während des Diakonates des Patriarchen Marelios in den ersten Jahren der osmanischen Herrschaft entstanden und sollte den Mönchen als Fluchtweg dienen, aber auch die geheiligten Gebeine der Toten aufnehmen, denn in jener Zeit grausamer Unterdrückung starben viele der Brüder, mehr, als alle Begräbnisstätten fassen konnten.
    Im roten Granit unter der dünnen Erdschicht waren zwei durch Pfeiler gestützte Stollen ausgehauen worden. Nirgends war die Entfernung zwischen dem Boden und der gewölbten Steindecke größer als einen Meter, stellenweise war sie sogar geringer. Da und dort waren Kammern eingestürzt und hatten sich mit Schutt und Felsbrocken gefüllt, so dass draußen im Freien an der Oberfläche seichte Mulden entstanden. Eigentlich waren es jene rätselhaften Vertiefungen bei der Klostermauer, welche die Aufmerksamkeit des jungen Bruders Anastasius erregten und ihn bewogen, in der uralten Bibliothek des Katharinenklosters nach möglichen Erklärungen zu suchen. Es bedurfte vieler Jahre unverdrossener Arbeit, ehe der Mönch in den morschen vergilbten Büchern die Berichte der Chronisten fand, beginnend in der Regierungszeit des Sultans Murad IV. bis zum Hinweis auf die Vollendung des Werkes anno 1640, als der schwachsinnige Ibrahim I. den Thron der Osmanen bestieg.
    Anastasius war seit fünf Jahren Hüter des Beinhauses, als er – zuerst allein – daranging, die verschütteten Gelasse unter den Mauern und Gärten auszuräumen und zu erforschen. Und er war es auch, der die Gebeine der

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