34° Ost
könnte sein, dass der Vizepräsident darauf besteht.«
»Eben darum kann ich keine Untersuchungskommission einberufen. Was Trask gemacht hat, war eine Eselei. Er hat sich von persönlichen Gefühlen leiten lassen, statt seine Urteilskraft zu gebrauchen, und das darf sich ein Offizier dieses Kommandos nicht erlauben. Aber ich kann nicht den Russen seinen Kopf auf einem Silberteller präsentieren. Ich werde nicht zulassen, dass mein Kommando für Talcott Bailey und' seine Freunde zum Prügelknaben wird.«
»Es könnte sein, dass sich der Präsident hinter Bailey stellt, wenn der Strafmaßnahmen verlangt.«
Tate sah den Colonel an. »Halten Sie das für möglich?«
Seidel schüttelte müde den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber Sie können ein so politisches Kommando wie dieses hier nicht aus der Politik heraushalten. Trask hat Sie jedenfalls in eine scheußliche Lage gebracht.«
»Was würden Sie an meiner Stelle tun, Richter Seidel?«
Der Richter überlegte. Er sah sich bereits als politischen Advokaten für Tate, seine Soldaten und das ganze Konzept einer amerikanischen Friedenstruppe auf Sinai. Was natürlich genau die Rolle war, die man von ihm erwartete. Aus diesem Grund hatte der Präsident ihn hierher beordert. Und doch wünschte er aus ganzer Seele, sich dieser Pflicht entziehen zu können. Weder als Abgeordneter noch als Richter hatte er sich jemals vor Verantwortung gedrückt. Aber, und das durfte er nicht vergessen, er hatte immer noch gewisse Ambitionen. Er hatte diesen Posten in der Erwartung angenommen, dass der Präsident ihn – zu gegebener Zeit – belohnen würde. Wenn er sich jetzt in einen aussichtslosen Kampf um einen als Kommunistenfresser verschrienen Offizier hineinziehen ließ, den Bailey zweifellos aufs Korn nehmen würde, konnte sich das auf seine Zukunft ziemlich ungünstig auswirken.
»Halten Sie es für fair, mir diese Frage zu stellen?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.
»Natürlich nicht. Ich hätte sie Ihnen nicht stellen dürfen. Ich trage die Verantwortung.«
»Wir wissen natürlich noch nicht, ob Bailey Trask tatsächlich unter Anklage wird stellen wollen.«
»Ich glaube, wir beide kennen den Vizepräsidenten gut genug«, erwiderte Tate.
»Sie wollen sich also wirklich Trasks wegen exponieren?«
»Ich kann eine militärische Entscheidung nicht durch eine Ideologie beeinflussen lassen, die jetzt zufällig populär ist.«
»Aber ist es nicht gerade das, was Sie tun? Sie lassen zu, dass die Ideologie Ihre Entscheidung beeinflusst, wenn auch im umgekehrten Sinn.«
»Das stimmt, Colonel«, sagte Tate. »Aber ich muß mich doch von der Erwägung leiten lassen, dass dieses Kommando und seine Aufgaben wichtiger sind, als Talcott Bailey und die Russen zu beschwichtigen.«
Seidel konnte nicht umhin zu bemerken: »Zumindest Admiral Ainsworth wird Ihre Entscheidung billigen.«
»Schon möglich. Obwohl er durchaus imstande ist, seine Meinung zu ändern, nachdem Bailey und seine Begleiter wieder daheim sind und ich Trask an seinen Schreibtisch im Pentagon zurückgeschickt habe.«
»Das klingt, als ob Sie es darauf anlegen würden, alle Welt gegen sich aufzubringen. Bailey, die Russen und Ainsworth. Ob das klug ist?«
Tate streckte die Beine aus und lehnte sich zurück. »Was ist denn heutzutage klug? Erinnern Sie sich noch – das war 1973 –, wie die Russen sich erbötig machten, auf eigene Faust nach dem Rechten zu sehen und damit einen Riesenwirbel auslösten? Und darum werde ich jetzt – heute – tun, was für dieses Kommando das beste ist. Es gibt vielleicht auch andere Möglichkeiten, den Frieden in diesem Teil der Welt zu erhalten, als zu beiden Seiten des Längengrades 34° Ost zu sitzen und sich gegenseitig wütend anzustarren. Aber zwei Präsidenten und das amerikanische Volk haben diese Möglichkeit gewählt, und das muß mir genügen.« Er betrachtete Jason Seidel mit einem ironischen Lächeln. »Auch das gehört zu den Aufgaben eines Soldaten, Colonel, und findet« – er legte den Finger an die zwei Silbersterne an seinem Kragen – »hier seinen sichtbaren Ausdruck …«
»Es könnte sein, dass Sie nie mehr einen dazubekommen«, sagte Seidel mit echter Anteilnahme, »und das wäre schade. Ich persönlich würde Sie gerne einmal im Vereinigten Generalstab sitzen sehen – ich und viele andere. Sie setzen diese Chance aufs Spiel, wenn Sie sich gegen Talcott Bailey stellen. Steht das dafür?«
»Darum geht es nicht, und das wissen Sie sehr gut«, erwiderte
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