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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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Meinungen nur im kleinen Kreis von Gleichgesinnten, oder er behielt sie ganz für sich.
    Stuart Ainsworth hatte keine persönlichen politischen Ambitionen. Ihn interessierte eine Karriere nicht, die von der Beliebtheit beim Volk abhing. Er betrachtete die Demokratie als einen Luxus, den sich nur jene leisten konnten, die bereit waren, sie bedingungslos zu verteidigen. Diese Gewissheit lag seiner Überzeugung zugrunde, dass ein Mann in seiner Position die moralische Stärke besitzen mußte, als erster und mit aller Macht auf die Feinde seines Landes loszuschlagen.
    Der Admiral stammte aus einer englischen Kalvinistenfamilie, und in seiner Seele brannte das kalte Feuer des Eiferers. Die ihm dienten, hassten und fürchteten ihn – oder sie ließen sich von der Kraft seines Willens und seiner Überzeugung unterwerfen. Er hatte Feinde und Jünger. Er war ein strenger Zuchtmeister und der tüchtigste Vorsitzende, der jemals auf seinem Stuhl gesessen hatte. Der Präsident konnte ihn nicht leiden, der Vizepräsident verabscheute ihn. Die meisten Abgeordneten waren von seiner frostigen Rechtschaffenheit und seinem mit der Präzision eines Computers funktionierenden Verstand tief beeindruckt.
    Fowler Litton Beal, der Speaker des Abgeordnetenhauses, der gerade zum Büro des Vorsitzenden unterwegs war, um seinen 8-Uhr-Termin einzuhalten, bewunderte den Admiral mehr als jeder andere in Washington.
    Fowler Beal, ein sanfter, zerknitterter Mann, der seine jetzige hohe Stellung im Abgeordnetenhaus auf Grund seines Dienstalters und seiner geradezu sklavischen Ergebenheit gegenüber der Partei erreicht hatte, war alles, was Ainsworth nicht war. Obwohl er sich gerne als starker Mann sah, als Mann von strengen Grundsätzen – er war es nicht und wußte auch, dass er es nicht war. Sein Privatleben war nicht ganz sauber. Er trank zuviel und machte sich Sorgen darüber. Er hatte eine mittelmäßige, langweilige Karriere hinter sich. In seinem Heimatstaat begegnete man ihm mit geringschätziger Toleranz. In seinem Wahlbezirk war er als der alte Fowler bekannt. Er war jetzt sechzig, und in den ganzen sechsundzwanzig Jahren, die er nun schon im Abgeordnetenhaus saß, hatten ihn seine Anhänger schon immer den alten Fowler genannt. Beal war ein Parteihengst, und auch das wußte er. Er besaß weder Brillanz noch Ausstrahlung, aber er war loyal und bereit, sich an Instruktionen zu halten. Dass ein solcher Mann einen gewaltigen Respekt vor dem strengen Vorsitzenden der amerikanischen Vereinigten Stabschefs empfand und danach strebte, ihn zu seinen Freunden zählen zu dürfen, war unvermeidlich.
    Von einem strammen Fregattenkapitän in frisch gebügelter, mit zwei Reihen Auszeichnungsbändern geschmückter Uniform wurde er in Admiral Ainsworth' Büro geleitet. Aussehen und Haltung des jungen Offiziers brachten ihm seine eigene zerknitterte Existenz schmerzlich zum Bewußtsein. Vor seiner Ernennung zum Speaker war der Abgeordnete Beal durch Jahre im Verteidigungsausschuss tätig gewesen und hatte sich dort den Ruf eines Freundes der Militärs erworben. Dieses war sein einziger Trost, wenn er jungen Offizieren wie diesem Adjutanten gegenüberstand.
    Es erfüllte ihn mit kindischer Freude, dass Admiral Ainsworth sich erhob und hinter seinem Schreibtisch hervorkam, um ihn zu begrüßen. Er bemerkte, dass ein Teil der Wandtäfelung zur Seite gerollt war. Eine große Karte des östlichen Mittelmeers war sichtbar geworden. Der Gedanke, dass Stuart ihn wieder einmal ins Vertrauen ziehen würde, entzückte ihn.
    Nachdem der Adjutant gegangen war, führte der Admiral den Speaker zu einem Stuhl. »Ich bin froh«, sagte er, »dass Sie so schnell kommen konnten.«
    Nach dem frühmorgendlichen mysteriösen Telefonanruf des Admirals, der Fowler Beal geweckt hatte, wäre keine Macht der Welt imstande gewesen, ihn von diesem Besuch abzuhalten. Seine persönliche Beziehung zu dem Admiral stellte eines der höchstgeschätzten gesellschaftlichen und politischen Besitztümer Fowler Beals dar, die Zierde seiner farblosen Karriere.
    »Ich dachte mir, dass es etwas Wichtiges sein müsse«, entgegnete er erwartungsvoll.
    »Ich wäre zu Ihnen ins Büro gekommen«, sagte Ainsworth, »aber es kann nur mehr eine Frage von Stunden sein, bis die Presse von der Sache Wind bekommt, und dann werden sie wie die Geier hinter mir her sein.«
    Beal wurde immer aufgeregter. Er hatte keine Ahnung, um weiche ›Sache‹ es sich da handeln könnte. Gestern Abend noch war Washington

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