34° Ost
nicht zu nutzen. »Soll das heißen, dass er nie über Rassenprobleme nachdenkt?«
»Kommen Sie mir doch nicht mit dem Unsinn, Colonel. Ein Neger kann sein Land auch lieben, ohne sich zu bemühen, ein Weißer zu sein.« Er unterbrach sich, und es schien, als überlegte er, ob er das Thema weiter verfolgen sollte. Dann fuhr er fort: »In dieser Hinsicht dürfte meine Erziehung der Ihren ähnlich gewesen sein. Ich bin nicht im Süden aufgewachsen: ich dachte über die Neger nie wirklich nach. Aber in der Armee sagte man mir, es wäre nun höchste Zeit, mit dem Nachdenken anzufangen, und ich hielt mich daran. In den ersten Jahren versuchte ich vorurteilsfrei zu sein. Ich redete mir ein, man müsse schwarzen Soldaten Dummheit und Nachlässigkeit durchgehen lassen. Dann lernte ich Robinson kennen. Mein A-Lager bei Kontum wurde von nordvietnamesischen Stoßtruppen überrannt. Robinson war mein Waffenunteroffizier. Es gab ein schreckliches Gemetzel. Er rettete uns – nicht weil er schwarz, sondern weil er der beste Soldat in ganz Vietnam war. Es war wie eine Offenbarung: wir beide, er und ich, hatten genau das gleiche Ziel vor Augen – zu kämpfen und am Leben zu bleiben.« Tate dachte an den grauen, tödlichen Tag zurück, da die regenschwangeren Wolken die Phantom-Jäger am Einsatz hinderten. »Die Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß, die unserem Land seit zweihundert Jahren zu schaffen machen, schienen in dieser Situation nicht sehr wichtig. Keinem von uns. Habe ich Ihre Frage damit beantwortet?«
»Ist das der Grund, warum Sie jetzt so viele Schwarze in Ihrem Kommando haben?« fragte Seidel.
»Was das Rassenproblem betrifft, so ist die Armee dem zivilen Bereich weit voraus, Colonel. Es gibt eine ganze Menge schwarzer Berufssoldaten. Ich habe mir für dieses Kommando gute Soldaten ausgesucht. Über ihre Hautfarbe habe ich dabei nicht nachgedacht.«
»Robinsons Tapferkeitsmedaille … Haben Sie ihm die verschafft?«
»Ich habe seine ehrenvolle Erwähnung im Tagesbefehl veranlasst.«
»War das an jenem Tag in Vietnam?«
»Bei Einbruch der Dunkelheit hatten wir zweihundert tote Vietnamesen innerhalb unseres Stacheldrahtverhaus. Wir – die Soldaten des Teams, die an diesem Tag zufällig im Lager waren, und die dreißig Mann Ranger – wir konnten etwa die Hälfte der gefallenen Feinde auf unser Konto buchen. Den Rest hatte Robinson erledigt …« Tate nahm das nur mühsam unterdrückte Entsetzen in den Augen des Zivilisten Seidel wahr und fügte hinzu: »Töten ist nicht das einzige Geschäft, das ein Soldat zu besorgen hat. Aber es gehört zu seinen wesentlichen Aufgaben. Darüber müssen wir uns klar sein, und wir müssen uns damit abfinden. Es hört sich schön an, wenn man über die Segnungen des Friedens spricht, aber vergessen Sie eines nicht: Wenn der Krieg kommt, den keiner haben will, dann müssen wir verdammt froh sein, Männer wie Sergeant Robinson zu haben, die für uns das Geschäft des Tötens besorgen, damit wir am Leben bleiben und wieder von vorn anfangen können.«
Seidel spürte es wie Blei im Magen. Er wußte: Tate hatte recht. Soldaten waren nicht davon überzeugt – und damit standen sie im Gegensatz zu den ›Tauben‹ –, dass die Menschheit vernünftig und friedliebend war. Es fragte sich, ob sie es für möglich hielten, dass sie es je wurde. Soldaten sahen die Menschen anders: als aggressive, grausame, mordgierige Wesen. Kein Wunder, dass man zuweilen bei Männern wie Robinson – oder General Tate – hinter ihrer Fassade des Menschenwesens einen Schimmer von etwas erblickte, was einem Entsetzen einflößte. Es war, als sähe man für einen kurzen Augenblick die Welt in Flammen stehen. Und das schlimmste war, dass es zwar die Tates und Robinsons waren, die die Waffen gebrauchten, dass sie es aber auf Geheiß von Männern taten wie er selbst, wie Talcott Bailey – Männer, die nur den Frieden wollten.
So gesehen, nahm Trasks Unbesonnenheit erschreckende Ausmaße an. Seidel, der von seiner Erziehung und seiner Lebensauffassung her gewohnt war, politisch und rechtlich zu denken, fing an, nach einer Lösung zu suchen, um Tate und die Zone von der Anwesenheit Trasks zu befreien. »Wollen Sie eine Untersuchungskommission einberufen?« fragte er.
»Sie sollten eigentlich wissen, dass ich das nicht tun kann, Richter Seidel«, erwiderte Tate. »Ich kann ihn feuern oder ich kann über die Sache hinweggehen. Aber ich kann ihn nicht an den Pranger stellen. Jetzt nicht.«
»Es
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