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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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Tate. »Wüssten Sie es nicht, so säßen Sie jetzt nicht hier. Ich mag Bailey nicht. Im Gegensatz zu ihm glaube ich ganz einfach nicht, dass der Wolf bei dem Lamm wohnen wird, wie es in der Bibel heißt. Jedenfalls nicht in absehbarer Zukunft.« Tate sah seinen Stabschef lange an. Es schien, als wäge er ab, ob er weitersprechen sollte. Doch dann sagte er: »Aber das hat alles nichts mit unserem Problem zu tun. Was immer dieser verdammte Narr Trask angestellt hat, ich kann nicht zulassen, dass die Integrität dieses Kommandos in Frage gestellt wird. Und sie wird in Frage gestellt, wenn ich mich von Vizepräsident Bailey zwingen lasse, einen meiner Offiziere zu feuern, nur um die Russen zu besänftigen. So einfach ist das. Und ich bin nun einmal ein einfacher Mann.«
    »Ein einfacher Mann? Dass ich nicht lache!« sagte Oberst Seidel erbittert. »Einfach!«
    Pünktlich um acht Uhr früh nahm Admiral Stuart Ainsworth, Vorsitzender der amerikanischen Vereinigten Stabschefs, hinter seinem Schreibtisch im Pentagon Platz, um seinen Arbeitstag zu beginnen. An diesem Morgen war er um vier Uhr durch einen Telefonanruf des diensthabenden Offiziers geweckt und über Trasks Zusammenstoß mit der ›Allende‹ informiert worden. Seitdem hatte er stündlich Berichte über die Reaktion der Russen erhalten. Diese Berichte kamen vom Nachrichtendienst der Marine, vom CIA und aus der Nachrichtenabteilung des Verteidigungsministeriums. Dazu noch andere – aus Admiral Ainsworth' eigenen, persönlichen Quellen im Weißen Haus und im Abgeordnetenhaus.
    Es war charakteristisch für Stuart Ainsworth' Amtsführung als Vorsitzender der amerikanischen Vereinigten Stabschefs, dass alle die Sowjets betreffenden Meldungen ohne Umwege auf seinem Schreibtisch landeten. Es war ein Glaubensartikel für den Admiral, dass sich die Vereinigten Staaten über das wahre Ausmaß der kommunistischen Bedrohung weitgehend im unklaren befanden. Die Gefahr, die das Land bedrohte, lag seiner Ansicht nach nicht allein in der Sowjetmacht, sondern auch in der Fehleinschätzung der russischen Absichten durch die Liberalen. Er pflegte manchmal zu sagen, dass der Kalte Krieg nicht erst 1946, sondern schon 1917 mit dem Entstehen des Sowjetstaates begonnen hatte. Er war ganz sicher, dass die UdSSR es sich zum Ziel gesetzt hatte, die kapitalistische Welt und insbesondere das kapitalistischste Land der Welt zu vernichten. Dieses Ziel war die einzige Konstante in der sowjetischen Politik; alles andere richtete sich nach der Zweckdienlichkeit des Augenblicks.
    In seiner langen militärischen Laufbahn hatte Ainsworth viele Veränderungen in der öffentlichen Meinung seines Landes erlebt. Er hatte immer seinen Dienst versehen: in den Tagen der euphorischen Allianz des Zweiten Weltkrieges, in den bösen Tagen des Koreakrieges, in der von zügellosem Antikommunismus geprägten Ära McCarthy. Während der Kubakrise hatte er ein Kreuzergeschwader, vor der Küste Vietnams einen Flugzeugträgereinsatzverband befehligt. Mit Unbehagen hatte er Nixons Reisen nach Peking und Moskau verfolgt und sich als Stabschef der Marine vor dem Außenpolitischen Ausschuss gegen die Ratifizierung des Zypernabkommens ausgesprochen. Seine diesbezüglichen Bemerkungen wurden noch drei Jahre später von Gegnern des US-Engagements auf Sinai zitiert.
    Als junger Offizier hatte er gelernt, wie riskant es war, in Washington Liberalen und Tauben gegenüber seine ehrliche Meinung zu äußern. Er hatte erlebt, wie andere Offiziere ihre Karriere ruinierten, weil sie Warnungen aussprachen, die Amerika nicht hören wollte. Dennoch überzeugten ihn die in dreißig Jahren gewonnenen Erfahrungen, dass der Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland unvermeidlich war.
    Die Geschichte lehrte, wie undankbar sich Demokratien gegenüber ihren Kriegern erweisen konnten. Athen hatte Miltiades, den Sieger von Marathon, in Ungnade entlassen und an den Bettelstab gebracht, und Themistokles, den Sieger von Salamis, in die Verbannung geschickt. Amerika hatte Billy Mitchell seine Dienste mit einem Kriegsgerichtsverfahren und George Patton die seinen mit dem Verlust des Kommandos gelohnt. So regierte der Pöbel, und Stuart Ainsworth hatte nicht die Absicht, sich – oder sein Land – vom Pöbel zerstören zu lassen. Er erreichte höhere Ränge, seine politischen Ansichten wurden immer extremer, aber er wurde auch vorsichtiger. Nach seiner erfolglosen Erklärung vor dem Außenpolitischen Ausschuss äußerte er seine

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