34° Ost
verdauen, Jape. Was ist mit Bailey? Weiß er davon?«
Reisman zuckte die Achseln. »Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. In Washington lassen sich Geheimnisse heutzutage nur schwer hüten. Wir hoffen, dass noch nichts durchgesickert ist. Sollte die Presse davon Wind bekommen … eine Kampagne mit dem Ziel, den Präsidenten zum Rücktritt und zur Übergabe der Amtsgeschäfte an Bailey zu bewegen, ist das mindeste, was wir zu erwarten hätten.«
»Das wäre eine Katastrophe«, sagte Seidel bedrückt.
»Bailey wäre wahrscheinlich kaum in der Lage, eine Wahl zu gewinnen. Aber sollte er durch ein Wunder doch gewählt werden – überlegen Sie doch einmal, was das bedeuten würde. Die Streitkräfte auf einen kläglichen Rest dezimiert. Verträge gekündigt. Verbündete vor den Kopf gestoßen. Ainsworth und seine Freunde würden es offenen Verrat nennen. Und die Krisen innerhalb der Partei? Ich stelle Baileys Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit nicht in Frage. Vielleicht würde er dann in der Praxis nicht tun, was er zu tun beabsichtigte; vielleicht würde er nicht unilateral abrüsten; vielleicht würde er nicht aus der NATO und aus der SEATO austreten und das amerikanische Kontingent aus der Zone abziehen. Aber wenn er es sagt, muß ich wohl glauben, dass er es auch meint. Talcott Bailey als Präsident der Vereinigten Staaten würde eine internationale Erpressung geradezu herausfordern. Eine Herausforderung, die von einigen mit Jubel begrüßt werden würde. Ich möchte gar nicht daran denken, was das für ein Volk wie die Israelis bedeuten würde, die darauf vertraut haben, dass wir ihnen mit aller Kraft gegen die Rabauken der Welt beistehen.«
Eine Weile ging er in dem kleinen, kahlen Raum auf und ab. Dann blieb er stehen und sah Seidel mit harten Augen an. »Darum darf es nicht Talcott Bailey sein. Jetzt nicht und nicht bei der nächsten Wahl. So einfach ist das.«
»Hat der Präsident in dieser Frage bereits einen Entschluß gefaßt?«
Jape Reisman nickte langsam. »Selbstverständlich. Sofern nichts Unvorhergesehenes geschieht.«
»Und wer soll es sein?«
»Der Richter am Obersten Bundesgerichtshof, Jason Seidel.«
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Es ist unerheblich, ob ich es ernst meine. Ich versichere Ihnen, er meint es ernst. Aber wenn wir schon davon sprechen, muß ich Ihnen sagen, dass ich die Meinung des Präsidenten durchaus nicht teile.«
»Du lieber Gott.«
»Denken Sie darüber nach, Richter Seidel. Sie haben das richtige Alter, Sie sind in der richtigen Partei. Sie haben Verstand und so viel Integrität, dass es für zwei Präsidenten reichen würde. Dennoch sind Ihnen die politischen Realitäten nicht fremd. Sie waren Abgeordneter und werden die höchste Stelle in der Bundesgerichtsbarkeit einnehmen. Seit zwei Generationen hat kein Richter am Obersten Bundesgerichtshof für die Präsidentschaft kandidiert. Aber jetzt ist die Zeit reif, meint der Präsident. Oder wird reif sein, nachdem Sie ein oder zwei Jahre das Richteramt ausgeübt haben. Denken Sie darüber nach. Sie sind jetzt nicht sehr bekannt, aber bis der Parteikonvent einberufen wird, kann sich das geändert haben. Und glauben Sie mir eines: Wenn er Sie haben will, sind Sie der richtige Mann. Sie beide sind alte Freunde; aber wenn er Sie nicht für den besten Kandidaten hielte, würde er Sie nicht einmal in die Nähe des Weißen Hauses lassen. Er ist ein harter Mann, und auch damit erzähle ich Ihnen nichts Neues. Wenn Sie diesbezüglich noch irgendwelche Zweifel gehegt haben sollten … was jetzt hier geschieht, müßte Sie davon überzeugen.« Ein halb neidvoller, halb bedauernder Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Ich wollte, er würde mir nur einen Bruchteil des Vertrauens schenken, das er in Sie setzt.«
Seidel schwieg. Es kostete ihn Mühe, seine Gedanken zusammenzuhalten.
»Nun, Richter?«
»Ich weiß nicht, Jape. Ich muß mich erst an den Gedanken gewöhnen.«
»Der Präsident wünscht, dass Sie an den Gesprächen in der Zentralen Zone teilnehmen. Können Sie das bei Bailey durchsetzen, oder soll ich veranlassen, dass er eine Anweisung vom Weißen Haus bekommt?«
Jason Seidel überlegte kurz, ob das vielleicht eine Probe war, ob er seine Fähigkeit, mit Bailey und seinen Leuten fertigzuwerden, unter Beweis stellen sollte. Und er erkannte mit einem Anflug von Bedauern, dass von jetzt an jede neue Aufgabe, jeder Vorschlag den gleichen Argwohn ihn ihm erwecken würde. »Das mache ich schon«,
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