34° Ost
antwortete er.
»Fein.« Reisman streckte ihm die Hand entgegen, und Seidel ergriff sie. Dann öffnete Reisman die Tür, und einen Augenblick lang hob sich seine Gestalt vom sternerhellten Dunkel der Wüstennacht ab. »Das Schicksal hat an Ihre Tür geklopft, Richter Seidel. Bis morgen dann.«
Captain Elizabeth Adams konnte nicht einschlafen. Den ganzen Tag über war es drückend heiß gewesen. Am Abend war der Kamsin gekommen und hatte einen feinen Nebel aus Staub und Sand aufgewirbelt, der durch Tür- und Fensterspalten rieselte und in die Klimaanlagen der Büros und Schlafräume drang. Die Nacht war still und kalt, und die erschreckend hell leuchtenden Sterne funkelten an einem tiefschwarzen Wüstenhimmel.
Sie war von den Ereignissen dieses langen Tages beunruhigt. Noch bei der Sitzung in El Arisch hatte es so ausgesehen, als ob es ein Tag wie jeder andere sein würde. Aber fast genau von dem Augenblick an, als der General und sein Stab das russische Hauptquartier verließen, hatte es nur mehr eine verwirrende Folge von Pannen gegeben.
Sie warf die Bettdecke zurück und lag still da. Sie dachte an General Tate. Und dann fühlte sie, wie ihre eigenen Hände durch den dünnen Stoff des Schlafanzugs Bauch und Schenkel berührten. Es war fast, als ob es seine Hände wären. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Einfach widerlich, dachte sie, sich solchen Phantasien zu überlassen. William Tate liebte sie nicht; kaum dass er ihre Existenz zur Kenntnis nahm. Nein, das stimmte nicht. Aber ganz gewiß stellte sie kein Sexobjekt für ihn dar. Ihre Beziehung zueinander war das perfekte Beispiel dessen, was die Verfechter der Emanzipation als das ideale Verhältnis zwischen Mann und Frau betrachteten. Er achtete sie – achtete sie als Soldat und schätzte ihre Fähigkeiten, ihre Intelligenz und Loyalität. Aber er behandelte sie überhaupt nicht als Frau. Das tat er bei einer anderen.
Sie stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Still lagen die Häuser auf der anderen Seite des Platzes. Selbst in der Stadt herrschte Stille. Manchmal hörte man um diese Stunde die leisen Klänge arabischer Musik, wie sie der Wind aus den Kaffeehäusern herüberwehte. Doch in dieser Nacht war überall Stille.
Sie fröstelte und kehrte in ihr Zimmer zurück, aber der dunkle kleine Raum wirkte bedrückend und beengend. Sie warf sich einen Mantel über den Schlafanzug und trat auf die Rasenfläche des Platzes hinaus. Sie fühlte das üppige Gras unter ihren Füßen. Was wohl Bill Tate sagen würde, wenn sie jetzt plötzlich in seiner Unterkunft erschiene? Der Gedanke war so absurd, dass sie nicht wußte, ob sie darüber lachen oder weinen sollte. Sie war sich darüber im klaren, dass sie in ihr Zimmer zurückkehren sollte. Jeden Augenblick konnte der Wachhabende vorbeikommen und sie dabei ertappen, wie sie in Pyjama und Mantel durch das Lager spazierte. Idiotisch! Aber sie zwang sich, über den grasbewachsenen Platz zu gehen, bis sie an der Ecke des zweiten Lagers stand, von wo aus sie die Lichter des Gebäudes sehen konnte, in dem die israelischen Offiziere untergebracht waren. Und jetzt wußte sie, warum sie eigentlich hierher gekommen war. Sie blickte zu Deborah Zadoks Unterkunft hinüber und spürte einen schalen Geschmack im Mund, als sie die große, breitschultrige Gestalt von Sergeant Robinson Wache stehen sah.
Der General war bei seiner jüdischen Geliebten. Die gleiche krankhafte Einbildungskraft, die ihr die Russen als mongolische Barbaren erscheinen ließ, zeigte ihr nun Bilder von Tate und dem israelischen Mädchen – nackt, keuchend. Ein Gefühl rasender Eifersucht überkam sie, ihr Magen krampfte sich zusammen. Einen Augenblick lang wünschte sie sich von ganzem Herzen, sie könnte Deborah töten, ihr Gesicht, ihre üppigen jüdischen Brüste zerkrallen, die Nägel in ihren jüdischen Bauch schlagen …
Das Geräusch von Schritten hinter ihr riß Elizabeth Adams jäh in die kalte Wirklichkeit zurück. Erschreckt von der Heftigkeit ihrer Empfindungen, zitterte sie am ganzen Leib. Sie wirbelte herum und stieß fast mit einem Mann zusammen. Es dauerte Sekunden, bis sie Colonel Trask erkannte. Sie roch den Alkohol in seinem Atem.
»Sieh mal an«, sagte er, »das ist ja die Adams!« Im schwachen Schein der Sterne war sein entstelltes Gesicht nicht zu sehen. Liz Adams schwankte, und er langte nach ihr, um sie zu stützen. »Vorsicht, Captain Adams.«
Sie tat einen Schritt nach hinten. Um in ihr Quartier zurückzukehren,
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