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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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Geräuschen eines am Kai festgemachten Schiffes immer wieder geweckt, schlief der Stellvertretende Ministerpräsident der Sowjetunion, Anatolij Rostow, unruhig in seiner Kabine an Bord der ›Allende‹.
    In Ismailia setzte KGB-Oberst Grigorij Nowotny seine Unterschrift unter einen Tagesbefehl an die KGB-Truppe, die Rostow das Schutzgeleit in die Zentrale Zone geben sollte.
    Halb wahnsinnig vor Schmerzen, von Horden nächtlicher Teufel gejagt, wankte Bruder Anastasius im Dunkel über die Steinhalden des westlichen Dschebel Katerina. Der greise Mönch, der sich nicht mehr zurechtfand, bewegte sich in nördlicher statt östlicher Richtung vorwärts. Und während das Abu-Mussa-Kommando nur wenige Meilen südlich von ihm aufbrach, um in die entmilitarisierte Zone einzudringen, überschritt Bruder Anastasius – auf der Flucht vor Sarazenen und Dämonen – die Grenze zum russischen Sektor.
    Hinter ihm malten die ersten zögernden Strahlen der Frühsonne die Umrisse des zentralen Sinai-Massivs an den Horizont.

12
    General William Tate hielt sich nicht für einen grüblerischen Menschen und trieb auch nicht übermäßig viel Selbsterforschung. Doch in den frühen Morgenstunden schlief er unruhig. Der vergangene Tag war eine einzige Katastrophe gewesen. Mit einzelnen Geschehnissen hätte er ohne weiteres fertigwerden können, in ihrer Gesamtheit aber erschütterten sie sein Selbstvertrauen und erfüllten die grauen Stunden vor dem heraufziehenden Morgen mit ungewohnter Verzagtheit.
    Bill Tate hatte sich nie intensiv mit Liebe und Politik beschäftigt. Er betrachtete sie nicht als für einen Berufssoldaten passende Interessen. Und nun mußte er feststellen, dass er in beiden Bereichen in eine Krise geraten war – eine Krise, die er, wie ihm plötzlich klar wurde, nicht zu lösen vermochte.
    Er hatte Deborah Zadok auf eine Art gebraucht, wie zornige Männer seit Anbeginn der Welt Frauen gebrauchten, und ihn ekelte es vor sich selber. Nicht in Liebe oder Zuneigung hatte er sie letzte Nacht genommen, sondern um die Wut zu stillen, in die er beim Gespräch mit Talcott Bailey geraten war. Er hatte ein billiges Flittchen aus ihr gemacht, sie und damit auch sich selbst erniedrigt. Schlimmer noch: er hatte den verborgenen Abgrund, der zwischen ihnen lag, weit aufgerissen. Um sein Benehmen zu rechtfertigen, hatte er erkennen lassen, dass er von Deborahs Verbindung zum Mosa'ad wußte. Das stand jetzt zwischen ihnen; eine Fortsetzung ihres Verhältnisses war unmöglich geworden, aber der Gedanke an eine Zukunft ohne sie erschien ihm nun über alle Maßen düster.
    Das Gespräch mit dem Vizepräsidenten war schlimmer als erwartet verlaufen. Auf Baileys Zorn über den Zwischenfall mit der ›Allende‹ war er vorbereitet gewesen – er würde an seiner Stelle genauso reagiert haben. Doch er hatte nicht erwartet, dass der Vizepräsident seinen Abscheu vor den Militärs so deutlich dokumentieren würde. Entgegen den Empfehlungen seines eigenen Adjutanten und der ihm zugeteilten Männer des Geheimdienstes hatte Bailey entschieden, seine Begleitung in die Zentrale Zone auf eine einzige Gruppe Soldaten und einen Nachrichtentrupp zu beschränken. Diese Anordnung wäre Tate in jedem Fall unklug erschienen: Die Tatsache, dass diese Entscheidung als politisches Manöver und offenkundige Bestrafung des Kommandeurs des amerikanischen Kontingents gedacht worden war, machte sie völlig indiskutabel. Sie widersprach dem gesunden Menschenverstand. Diese Entscheidung machte es ihm unmöglich, die Sicherheit des Vizepräsidenten in einem Gebiet zu garantieren, in dem er das Kommando führte. Sie erbitterte ihn, weil der Ausschluss seiner Person aus der offiziellen Eskorte läppisch und beleidigend war. Es würde seine künftige Zusammenarbeit mit Russen und Ägyptern bedeutend erschweren. Und sie ließ deutlich erkennen, dass der Präsident, von dem allein es abhing, ob das US-Kontingent auch weiterhin das Wohlwollen und die Unterstützung der Öffentlichkeit fand, eine amerikanische Präsenz auf Sinai gegen die Billigung seiner Politik durch Baileys Tauben, abgewogen hatte und sich nun anschickte, mit dem Strom zu schwimmen. Wie es schien, hatten Politik und kurzsichtiges Zweckdenken wieder einmal über eine nur allzu klare Wirklichkeit gesiegt.
    Beim ersten Morgengrauen kleidete Tate sich an und inspizierte die Fahrzeuge, die für den Konvoi des Vizepräsidenten bereitgestellt worden waren. Während der Nacht waren aus Zypern Presse- und

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