34° Ost
muß, auf welcher Seite er steht, wenn es zu einem Konflikt zwischen zivilen und militärischen Instanzen kommt.«
Und damit waren sie auseinander gegangen. Sehr nachdenklich gestimmt ging Jason Seidel zurück in sein Quartier. Bailey hatte seinen schwächsten Punkt getroffen: seinen Ehrgeiz. Gut gemacht, dachte er, teuflisch gut gemacht.
In einigen Stunden, am Vormittag, würde der Vizepräsident die Fahrt in die Zentrale Zone antreten, wo er gegen 18 Uhr die Verlängerung eines Abkommens unterzeichnen sollte – eines Abkommens, gegen das er sich innerlich sträubte. Das mindeste, was ihm dabei bevorstand, war eine Tirade Anatolij Rostows, und das hatte er Dale Trask zu danken. So gesehen, konnte man verstehen, dass der Vizepräsident wütend war, weil Tate nicht nachgeben wollte. Aber Bailey würde das letzte Wort haben, daran war nicht zu zweifeln.
Die ersten Straf Maßnahmen waren bereits getroffen: Der Vizepräsident hatte ausdrücklich erklärt, er wünsche nur ein absolutes Minimum an militärischer Eskorte für seine Fahrt in die Zentrale Zone. Er hatte General Tate eigens von der Teilnahme ausgeschlossen. Was Bill Tate als strengen Verweis aufgefasst und in grimmigem Schweigen zur Kenntnis genommen hatte. In diesem Punkt stand die Autorität des Vizepräsidenten außer Zweifel; ihm allein kam die Entscheidung über die Zusammensetzung des Konvois zu.
Seidel machte sich Gedanken darüber, als er an den Baracken vorbeikam, in denen die israelische Verbindungsgruppe untergebracht war. Mit starkem Missfallen bemerkte er, dass Sergeant Robinson an der Ecke jenes Gebäudes stand, in dem Deborah Zadok wohnte. Der Colonel wußte genau, was Robinsons Anwesenheit zu bedeuten hatte. Es war eine unkluge und unpassende Beziehung, und sie unter den gegebenen Umständen so offen zur Schau zu stellen, fand Seidel empörend.
Er eilte an den Unterkünften der Israelis vorbei und erreichte die Betonbaracken des amerikanischen Militärpersonals. Dort stieß er auf Jape Reisman, der auf ihn gewartet hatte.
»Darf ich hereinkommen, Colonel?« fragte Reisman. »Tut mir leid, dass es schon so spät ist, aber ich hätte noch gern ein paar Worte mit Ihnen gesprochen.«
Schweigend führte Richter Seidel den Journalisten in sein Zimmer. Seit der Ankunft des Vizepräsidenten schien nichts mehr im gewohnten Geleise zu laufen.
Reisman betrachtete erstaunt die karge Einrichtung des Zimmers. Seidel war seit vielen Jahren Witwer, ein gewisser Zug zur Askese war also verständlich, aber ranghöhere Offiziere – zumindest solche, die Jape Reisman kannte – neigten dazu, die Privilegien ihres Ranges zu nutzen, um sich ihr Leben in der Armee etwas angenehmer zu gestalten. Der Richter tat dies offenbar nicht. Die Einrichtung war spartanisch: Außer dem Feldbett, einem metallenen Schreibtisch, einem Bücherregal mit militärischen und juristischen Fachbüchern befand sich kaum etwas im Raum.
»Ich fürchte, ich kann Ihnen nichts zu trinken anbieten, Mr. Reisman«, sagte Seidel. »Ich habe nichts von dem Zeug auf Lager.«
Reisman winkte ab. »Man kann nicht behaupten, dass Sie sich verwöhnen, Richter«, meinte er lächelnd.
Seidel zuckte die Achseln. »Ich verbringe nicht viel Zeit in diesem Raum, Mr. Reisman.«
»Jape.«
»Ja, natürlich.« Seidel bot ihm den einzigen Stuhl an und setzte sich auf das Bett. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hoffe, ich kann etwas für Sie tun.«
Seidel wartete, was weiter kam, aber Reisman schien es nicht eilig zu haben, zur Sache zu kommen. Statt dessen sagte er: »Der Stellvertreter von Major Paris hat mir den Echo-Sierra-Kontrollturm gezeigt. Da gibt's ja reichlich Spielzeug für die Soldaten.«
Seidel zog ein altes Feuerzeug aus der Tasche und zündete sich seine Pfeife an. »Spielzeug wohl kaum, Mr. Reisman. Sie würden etwas ganz Ähnliches auch jenseits 34° Ost finden.«
»Kostet eine Menge Geld, nicht wahr?«
»Sie müssen die Kosten der Friedensstreitmacht gegen die Alternativen abwägen«, sagte Seidel. »Was glauben Sie wohl, was ein dritter Weltkrieg kosten würde?«
»Touché. Wissen Sie, hin und wieder erwacht der Steuerzahler in mir. Selbst wenn ich mich mit dem zukünftigen Oberrichter unterhalte.«
»Das ist noch nicht sicher.«
»Richter Carmody tritt ganz bestimmt in den Ruhestand. Und Sie haben die Zusage des Präsidenten – eine schriftliche Zusage.«
»Ich bin dem Präsidenten sehr dankbar. Aber die Politik ist ein Hasardspiel. Ich rechne noch nicht so fest
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