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34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
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ihr Rock voll Blut war. Ihr Barett hatte sie verloren, das schwarze Haar hing wirr über die Schultern. Aus der Finsternis sprühte Mündungsfeuer, und einmal hatte der Vizepräsident den flüchtigen Eindruck – war es eine Halluzination? –, dass am hellen Kreis der brennenden Fahrzeuge ein Kamel vorbeizog.
    Emerson, sein Secret-Service-Agent, hatte einen kurzläufigen Revolver in der Hand und versuchte Bailey vom Heckfenster der Limousine wegzudrängen. »Deckung, Sir! Deckung!«
    Paul Bronstein hatte sich neben dem Fahrer auf den Wagenboden geworfen. Der Fahrer kniete mit seiner M-16 gegen den Rand des linken Seitenfensters gelehnt. Jason Seidel rief dem Negersergeant zu, er solle mit seinen Leuten die Limousine schützen. Ben Crowell hielt den Hörer des Funkgeräts umklammert und versuchte, den Funkwagen zu erreichen. Bailey konnte die gewaltige Brandfackel an der Spitze der Kolonne sehen und wußte, dass die mobile Funkstelle getroffen worden war. »Es hat keinen Sinn, Ben«, sagte er und wunderte sich selbst über seine ruhige Stimme. Aber Crowell schrie trotzdem ins Mikrofon und verfluchte zwischendurch abwechselnd die gestörten Verbindungen, die Dunkelheit und die Vereinten Nationen, die diese entmilitarisierte Zone nicht ausreichend sicherten.
    Bailey beschloß, dass der Moment für den Ausbruchsversuch gekommen war. Sobald sich der Sergeant mit seiner Gruppe um die Limousine postiert hatte, würde er Colonel Crowell und Jason Seidel auffordern, mit ihm so rasch als möglich über die freie Fläche bis zu den dunklen Hügeln südlich der Straße zu laufen. Aus dieser Richtung war nicht geschossen worden. Er würde die Israeli und Brigadier Rabin mitnehmen, falls dieser auffindbar war. Sicherlich mußten die UN-Truppen sehr bald kommen. In Wirklichkeit waren seit dem jähen Halt der Kolonne zwischen den beiden Anhöhen nicht mehr als sechs Minuten vergangen, aber für Bailey, der die Sinnestäuschungen im Kampf nicht kannte, erschien die Zeitspanne viel länger.
    Er packte Crowell beim Arm und teilte ihm seinen Plan mit. Einen Moment las Bailey im Gesicht des Adjutanten Mißbilligung und Befremden. Selbst in dieser verzweifelten Lage erbitterte ihn Crowells unverhohlene Geringschätzung. »Sie kommen mit mir, Colonel, das ist ein Befehl!« herrschte ihn Bailey an.
    Crowell nickte langsam, seine glänzenden schwarzen Augen waren starr auf den Vizepräsidenten gerichtet. Plötzlich gab es einen heilen, klatschenden Laut im Wagen. Die abweisende Miene des Colonels wich dem Ausdruck unbestimmten Staunens. Er öffnete den Mund, die zurückweichenden Lippen entblößten sein weißes regelmäßiges Gebiss. Langsam sank er gegen Seidel. Der wandte sich um und sah den dunklen Fleck, der sich knapp unter Crowells Auszeichnungsbändern ausbreitete, wo die Kugel in die Brust gedrungen war.
    Zwischen Colonel Benjamin Crowell und dem Vizepräsidenten hatte kein freundschaftliches Verhältnis bestanden. Talcott Bailey befreundete sich nie mit Berufssoldaten, an ihrer Wertschätzung lag ihm nichts. Aber diese distanzierte Haltung half jetzt nicht, als er zusehen mußte, wie dieser ihm seit langem vertraute, fähige Offizier hier vor seinen Augen starb, getroffen von einer verirrten Kugel, die da draußen in der Dunkelheit ein anonymer, unwissender, verhetzter Mann abgefeuert hatte, der sich über sein Tun ebenso wenig Rechenschaft gab wie ein reißender Tiger.
    »Ben …«
    »Er ist tot«, murmelte Seidel.
    Vorne im Wagen gab Paul Bronstein einen erschreckten Laut von sich. Er hatte ebenso wenig Erfahrungen mit nackter Gewalt wie der Vizepräsident. Selbst während seiner Zeiten als studentischer Aktivist war er bei Demonstrationen immer Zusammenstößen mit der Polizei ausgewichen. Es gelang ihm zwar, den Eindruck eines in Straßenschlachten erprobten alten Rabauken zu erwecken, aber in Wirklichkeit hatte er noch niemals gesehen, wie Menschen getötet oder schwer verletzt wurden. So sah also die Realität hinter jenen Parolen aus, die er als Zwanzigjähriger so oft verfochten hatte. Paul Bronstein konnte nur an Flucht denken – aber aus anderen Gründen als Talcott Bailey.
    »Wollen Sie 'raus?« fragte Colonel Seidel den Vizepräsidenten.
    »Haben Sie einen besseren Vorschlag?«
    Seidel schüttelte den Kopf.
    Auf dem nördlichen Hang regten sich wieder Schatten. Die fünf Soldaten unter Robinsons Führung waren rund um den Kühler der Limousine in Deckung gegangen. Bailey sah, wie der Sergeant mit dem Kolben seiner

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