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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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man vorher erst essen müsse, eine Zumutung, welche Morgenstern mit Entsetzen erfüllte. Er ahnte nicht, daß seines Geburtstages wegen noch erst eine Vorbereitung zu treffen sei. Man aß; er aber brachte keinen Bissen über die Lippen. Da krachte aus nicht zu großer Entfernung ein Schuß. Morgenstern sprang erschrocken auf und rief: „Was war das? Wer schießt da? Sollten etwa wieder Aripones in der Nähe sein?“
    „Nein, Señor“, antwortete Geronimo. „Dieser Schuß ist das Zeichen, daß die Zeit gekommen ist, in welcher Sie die Stelle sehen sollen, welche Sie zu betrachten wünschen. Geben Sie mir Ihren Arm! Ich werde Sie führen.“
    Er ergriff ihn beim Arm und ging mit ihm voran; die anderen folgten paarweise. Den Arm Fritzens hatte der Häuptling in den seinigen genommen. So ging es mit würdevollen, ja feierlichen Schritten zwischen mehreren Buschgruppen hindurch, bis man sich vor einem Dunkel befand, wo Geronimo stehenblieb und mit lauter Stimme sagte: „Señor, heute an Ihrem Geburtstag befinden Sie sich an einem Ort, an welchem Ihr Liebling sich vor vielen tausend Jahren an seinem Sterbetag niederlegte, um in Ihren zärtlichen Armen zu neuem Leben zu erwachen. La en hora buena, la en hora buena!“
    „La en hora buena – wir gratulieren!“ stimmten alle anderen ein.
    Zu gleicher Zeit sah man vorn ein kleines Flämmchen leuchten. Es huschte hin und her und auf und nieder; andere Flämmchen erschienen, bei deren Schein man ein breites und wohl vier Ellen hohes Bambusgestell bemerkte, an welchem die aus dürren Bambusstücken gefertigten Buchstaben und Worte befestigt waren: ‚Zum Geburtstag!‘ Die Buchstaben wurden entzündet und brannten einige Minuten, so daß man die Worte deutlich lesen konnte.
    „Welche Überraschung, Fritze!“ rief der Doktor aus, indem er sich zu seinem Diener umwendete. „Hier im Gran Chaco bereitet man mir zum Geburtstag ein Feuerwerk. Aber das Riesentier wäre mir doch noch lieber.“
    „Hm!“ brummte Fritze mißtrauisch. „Wenn dat nur kein Ulk ist, der damit ein Ende nimmt, daß man Sie Ihre eigene werte Persönlichkeit als Riesentier bezeichnet. Ick habe so 'nen Animus. Ach, wat ist dat?“
    Die Buchstaben waren verbrannt, und der Bambusrahmen verschwand. Dann leuchteten rechts und links wieder kleine Lichtpünktchen auf, welche sich schnell vergrößerten und zu hohen Flammen anwuchsen. Es brannten ungefähr sechzehn Schritt voneinander zwei riesige Feuer, und zwischen denselben sah man das weiße, vollständige Gerippe eines riesigen Tieres stehen, welches von starken Bambusschößlingen gestützt wurde. Seitwärts stand lächelnd der Vater Jaguar mit den zehn Cambas, welche ihm geholfen hatten, dieses Werk zu vollenden. Morgenstern aber sah weder diesen noch jene; sein Auge hing starr an dem Skelett; seine Brust rang nach Atem; er reckte beide Arme aus; er wollte sprechen, rufen, brachte aber kein Wort hervor, bis er endlich mit Aufbietung aller seiner Kräfte in gellendem Ton und silbenweise schrie: „Ein – Me – ga – the – ri – um! – Ein – Rie – sen – faul – tier!“
    Die beiden Worte waren heraus und nun schien der Bann, welcher auf ihm lastete, gebrochen zu sein. Er sprang auf das Gerippe zu, umarmte die starken Schenkel- und küßte die anderen Knochen; er streichelte den Schädel wie den Kopf eines lieben Kindes und bückte sich zur Erde nieder, um die an den Zehen befindlichen ungeheuren Sichelkrallen zu liebkosen, und rief und schwatzte dabei allerhand Zeug durcheinander, daß man hätte glauben mögen, er sei verrückt geworden. Die anderen ließen ihn ruhig gewähren; Fritze aber bekam Angst, trat zu ihm hin, schüttelte ihn am Arm und rief ihm zu: „Besinnen Sie Ihnen! Nehmen Sie Ihnen zusammen! Wegen so eines Riesentheriums braucht man den Verstand noch nicht zu verlieren!“
    Da schlug der Doktor die Arme um ihn, drückte ihn an sich und antwortete: „Mein lieber, lieber Fritze, ich bin wahrhaftig nicht verrückt, sondern glücklieh, unendlich glücklich. Du hast keine Ahnung, was so ein Faultier zu bedeuten hat!“
    „Na, wat dat betrifft, so kann es mich grad als Faultier nicht sehr imponieren, weil ick mein Lebtag für Faulheit nicht sehr einjenommen jewesen bin.“
    „Sieh nur diesen schönen, runden Schädel!“ rief der Doktor entzückt, ohne auf das unfreundliche Urteil seines Untergebenen zu achten.
    „Ja, rund und dick ist er, aber viel zu klein für die andere Jestalt. Dat ist ein Kindskopf auf dem

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