36 - Das Vermächtnis des Inka
sehen, ihm den verdienten Beifall zujubeln. Die Peons eilten fort, ihn zu suchen, kehrten aber mit dem Bescheid zurück, daß er nicht zu sehen sei, sich also schon entfernt habe. Es dauerte lange Zeit, ehe das Publikum sich beruhigte. Inzwischen kamen die Matadores, um die Menschen- und Pferdeleichen fortzuschaffen. Zuletzt sollte auch der Büffel hinausgeschleift werden; aber das gab man nicht zu. Man wollte ihn ja sehen, ihn genau betrachten, seine Größenverhältnisse ausmessen und die kleine, fast unsichtbare Wunde bewundern, durch welche das mächtige Tier gefällt worden war. Alles drängte nach der Arena, und die eigentlichen Zirkusbediensteten mußten sich die Hilfe der Toreadores erbitten, um nur einigermaßen Ordnung in den Wirrwarr zu bringen und schwere Unglücksfälle zu vermeiden.
DRITTES KAPITEL
Der ‚Vater Jaguar‘
Der Vater Jaguar war der Held des Tages; sein Name lebte heute in aller Mund, und wo dann später, nachdem der Zirkus sich geleert hatte, zwei oder mehrere miteinander gingen oder beisammensaßen, war er der Gegenstand nicht nur ihres Gespräches, sondern auch ihrer Bewunderung.
Sonderbar, wie vollständig er verschwunden war! Niemand wußte zu sagen, wo er zu finden sei. Und doch war aus seiner Kleidung zu schließen, daß er nicht im Freien kampiere, sondern sich in der Stadt aufhalte. Er und seine Begleiter, die jedenfalls Kameraden von ihm waren, hatten Anzüge getragen, welche man ablegt, bevor man hinaus in die Pampas geht.
Es versteht sich ganz von selbst, daß man auch im Haus des Bankiers Salido von ihm sprach; hatte er doch die Glieder der Familie von dem Tod errettet oder wenigstens vor schweren und schlimmen Verwundungen bewahrt. Salido sandte einige Peons aus, um den Aufenthalt des berühmten Mannes zu erfahren; sie kehrten aber alle unverrichteter Sache zurück. Das war dem Bankier im höchsten Grade unangenehm.
„Ich muß ihm doch unbedingt meinen Dank abstatten“, sagte er. „Am liebsten hätte ich es gleich, als er vom Jaguar zurückkehrte, getan, aber es gab keine Zeit dazu.“
„Und ich habe eine noch viel größere Unterlassungssünde begangen“, meinte Dr. Morgenstern. „Er hat sich bei mir für die Decke und das Messer bedankt, und ich habe ihm mit keinem Worte Dank, lateinisch Gratia, gesagt, obgleich ich es war, auf den dieser blutdürstige Jaguar die Augen gerichtet hatte. Was mag er von mir denken! Fast jedes Tier besitzt die Tugend der Dankbarkeit, obgleich es einige Individuen und sogar Ordnungen gibt, welche, wie die Zoologie und speziell die Lehre von den Insekten, Mollusken, Würmern und Bazillen beweist, dieser schönen Eigenschaft wenigstens teilweise zu entbehren scheinen; ein Mensch aber, in Griechenland Anthropos und in Rom Homo geheißen und nach diesen beiden Wörtern in allen zivilisierten Ländern so genannt, sollte sich von den Tieren, die doch nach der Klassifikation der Lebewesen unter ihm stehen, nicht beschämen lassen. Ich verdanke dem Vater Jaguar mein Leben und werde ihm dies, sobald ich ihn sehe, offen eingestehen. Denn daß er mir mein Messer nicht wiedergegeben hat, dadurch werde ich doch wohl nicht quitt mit ihm.“
Da kam ein Diener und meldete, daß ein fremder Señor gefragt habe, ob der Hausherr zu sprechen sei, und gab eine Karte ab, auf welcher der einfache Name Carlos Hammer zu lesen war. Der Bankier begab sich nach dem Sprechzimmer und war nicht nur sehr erstaunt, sondern auf das freudigste überrascht, in dem Fremden den – Vater Jaguar zu erkennen. Er trat schnell auf ihn zu, streckte ihm beide Hände entgegen und sagte: „Sie sind es, Señor, Sie, nach dem man so vergeblich sucht! Erlauben Sie mir, Ihnen die Hand zu drücken und Sie herzlichst willkommen zu heißen. Wie brav und liebenswürdig, daß Sie uns Gelegenheit geben, Ihnen wenigstens sagen zu dürfen, daß wir Ihnen tief, sehr tief verpflichtet sind!“
Über das ernste Gesicht Hammers glitt ein leises Lächeln, als er antwortete: „Bitte, Señor, ja nicht zu glauben, daß dies der Grund ist, welcher mich zu Ihnen führt. Es ist vielmehr eine geschäftliche Angelegenheit, in welcher ich Sie für eine Minute zu stören gezwungen bin.“
Während dieser Worte zog er eine Brieftasche heraus, der er ein Papier entnahm, welches er dem Bankier überreichte. Dieser warf einen Blick darauf und sagte: „Eine Anweisung von meinem Geschäftsfreund in Córdova. Die Summe steht Ihnen sofort zur Verfügung, obgleich mein Geschäft des Stiergefechtes wegen
Weitere Kostenlose Bücher