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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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lebst, der letzte der Sonnensöhne, und es wird die Zeit kommen, in welcher du die Spanier bestrafen und dein Reich zurückerobern wirst.“
    Haukaropora hatte sich in das Gras gestreckt und, den Kopf in die Hand gestützt, den Worten des Alten zugehört. Sein Gesicht hatte einen tief wehmütigen, ja melancholischen Ausdruck angenommen. Er seufzte auf und sagte, als Anciano jetzt schwieg: „Das hast du mir schon so oft gesagt, aber ich glaube es nicht. Ich glaube dir alles, alles, nur dieses nicht.“
    „Wie? Du glaubst nicht, daß du ein Inka, ein Sohn der Sonne bist?“ fragte der Alte erstaunt.
    „Das glaube ich, denn du hast es mir bewiesen, und ich selbst fühle in mir etwas ganz Unbeschreibliches, was mir sagt, daß ich nicht so bin wie andere. Aber, daß das Reich meiner Ahnen wiedererstehen könne, das glaube ich nicht.“
    Da richtete sich der Alte aus seiner gebückten Haltung auf und antwortete in feierlichem Ton: „Du sollst und mußt es aber glauben, denn es gibt eine Gerechtigkeit, welche jede Sünde, jede Missetat bestraft und dem Unschuldigen das wiedergibt, was ihm genommen wurde. Du wirst das Reich deiner Väter wieder aufrichten; ich sage es dir, und mein Wort ist immer wie ein Schwur. Kein Mensch ahnt, wer du bist, denn wir haben es geheimgehalten. Nur wenn wir allein sind, bedienen wir uns der Sprache unserer Ahnen, und ich nenne dich Herr. Wenn aber andere bei uns sind, bin ich ein armer Indianer, und du bist mein Enkelsohn. Es wird aber die Stunde schlagen, in welcher dieses Geheimnis gelüftet wird.“
    „Aber ohne Erfolg, mein Vater! Ich hatte Lust, die Länder und Städte der Spanier kennenzulernen, und du hast mich aus meiner Einsamkeit genommen und nach Osten geführt. Ich habe diese Städte, diese Pampas und ihre Bewohner gesehen, und nun wir zurückkehren, weiß ich, daß unsere Hoffnungen sich nie erfüllen werden.“
    „Nie? Warum?“
    „Weil sie zu mächtig und listig sind und wir keine Mittel besitzen, den Kampf mit ihnen siegreich aufzunehmen und auszuhalten.“
    „Mächtig und listig!“ lachte der Alte rauh auf. „Sie betätigen ihre Macht, indem sie sich untereinander zerfleischen. Und ihre List ist nichts als Heimtücke, welche den eigenen Herrn vernichtet. Steht nicht das Land in immerwährender Empörung? Warte noch eine kleine Weile, dann wird man sich nach dem Erlöser sehnen, und der wirst du sein, o Herr.“
    „Woher soll ich Soldaten nehmen, um zu siegen?“
    „Alle roten Männer werden mit dir sein!“
    „Und woher das Geld, welches ein Heerführer haben muß? Die Völker der Roten sind alle arm.“
    „Aber du bist reich, reich wie kein anderer!“
    „Ich? Reich?“ fragte der Jüngling in ungläubigem Ton.
    „Ja reich, unendlich reich“, antwortete der Alte. Und indem er mit der flachen Hand auf seine Silberlöwentasche schlug, fuhr er fort: „Hier steckt es, das Vermächtnis des Inka, dessen rechtmäßiger und einziger Erbe du bist. Seit dem Tod deines Vaters habe ich es bei mir herumgetragen, und zu seiner Zeit wird es von mir geöffnet werden. Doch schau, o Herr, die Grube ist geöffnet, und unsere Waffen kommen zum Vorschein.“
    Er hatte die Erde ausgeworfen und nahm die Gegenstände, welche das Loch enthielt, heraus. Es waren zwei lederne Köcher, mit Pfeilen gefüllt, zwei lange Lanzen und zwei Bogen, von denen der eine ganz aus durchsichtigem Horn bestand und von fremder, eigenartiger Arbeit war. Zuletzt brachte er noch einen Streitkolben heraus, welcher eine schwarze Farbe hatte und aus gefirnißtem Eisen zu sein schien. Jeder erhielt einen Speer, einen Köcher und einen Bogen; der des jungen Inka war derjenige von Horn, welcher eine Länge von beinahe drei Ellen hatte. Dazu bekam er den Streitkolben, den er sich an den Gürtel hing, und zwar an der linken Seite, an der Stelle, an welcher man den Säbel zu tragen pflegt. Die Art und Weise, wie er dabei mit dem Kolben hantierte, ließ vermuten, daß derselbe von bedeutendem Gewicht sei.
    Der Alte hatte sich erhoben, nickte dem Jüngling ernst zu und sagte: „Dieser Bogen und der Humantschuay sind die einzigen Gegenstände, welche von den Söhnen der Sonne auf dich übergegangen sind. Halte sie lieb und wert, o Herr! Du glaubtest vorhin, du seist arm; darum will ich dir etwas sagen, was ich dir bisher verschwiegen habe. Im Heer der Sonnensöhne trug jeder obere, auch der Inka, außer den anderen Waffen auch einen schweren, zackigen Streitkolben, Humantschuay genannt. Die gewöhnlichen Kämpfer

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