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36 - Das Vermächtnis des Inka

36 - Das Vermächtnis des Inka

Titel: 36 - Das Vermächtnis des Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatten Streitäxte aus Bronze; der Streitkolben der Heerführer war aus Silber, derjenige des Inka aber aus purem, reinem Gold. Dieser Humantschuay, der hier an deiner Seite hängt, war die Waffe eines Inka; er besteht aus gediegenem Gold.“
    „Aus Gold?“ fragte der Jüngling erstaunt, indem er den Kolben aufnahm und betrachtete. „Er ist ja schwarz wie Eisen!“
    „Weil er einen dünnen Überzug aus Lack besitzt. Eine goldflimmernde Waffe darfst du jetzt nicht sehen lassen. Später aber wird sie in deiner starken Hand deinen Kriegern voranleuchten. Sie ist bei der Flucht deines Ahnen gerettet worden. Wenn du bedenkst, wie schwer sie ist, wirst du erkennen, welchen Wert du in den Händen hast. Und ich bin überzeugt, daß noch ganz andere Reichtümer für dich verborgen liegen.“
    „Mag er von Gold sein“, meinte der Jüngling kopfschüttelnd, „dieser Streitkolben; er wird jetzt keinem Feind mehr gefährlich. Man hat ganz andere Waffen als damals. Was sind tausend Streitkolben gegen fünfzig Flinten oder eine einzige Kanone! Seit du drüben in Montevideo diese beiden Flinten gekauft hast, weiß ich, wie schwach unsere bisherigen Waffen waren.“
    „Das glaube ich nicht! Der Klang des Pulvers verrät dich deinem Feind; der Pfeil aber ist verschwiegen. Du tötest mit ihm viele Feinde, bevor man erkennt, wo du dich befindest. Jetzt aber komm, o Herr, damit wir bis zum Abend ein Wasser erreichen, an welchem wir unseren Durst zu stillen vermögen!“
    Sie hatten, ehe sie vor Monaten die Wildnis verließen, ihre Waffen außer den Messern hier vergraben und befanden sich nun wieder im Besitz derselben. Da sie es nicht für nötig fanden, das Loch wieder zuzufüllen, ließen sie es offen und nahmen ihre vorhin unterbrochene Wanderung wieder auf. Pferde besaßen sie nicht; sie kehrten zu Fuß in ihre ferne Heimat zurück.
    Die Lagune verlassend, marschierten sie am Waldrand hin. Sie hatten viel zu tragen, was aber auf die Schnelligkeit ihrer Schritte von gar keinem Einfluß war. Der über hundert Jahre alte Greis schritt rüstig wie ein junger, dreißigjähriger Mann neben seinem Begleiter her. Er war von diesem Anciano genannt worden, ein spanisches Wort, welches der Alte, der Hochbetagte, der Greis bedeutet. Es ist übrigens bekannt, daß man bei den Indianern der Kordilleren oft Personen findet, welche über hundert Jahr zählen.
    Da, wo die beiden jetzt gingen, entfernte sich der Wald vom Fluß, so daß zwischen beiden ein ziemlich breiter Campo blieb, in dessen niedrigem Gras leicht zu gehen war. Sie suchten sich eine der erwähnten natürlichen Öffnungen im Wald, um eine andere Richtung einzuschlagen. Nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an eine solche, welche gerade nordwärts durch den Wald zu führen schien. Sie war schmal, höchstens vierzig Schritt breit. Sie folgten ihr. Noch aber waren sie nicht weit vorwärts gekommen, als der Inka, welcher doch schärfere Augen als der Alte hatte, diesen plötzlich am Arm faßte und ihn seitwärts unter die Bäume zog.
    „Was ist's? Was gibt's?“ fragte Anciano. „Hast du etwas gesehen? Vielleicht ein Tier, welches wir schießen können, um frisches Fleisch zu erhalten?“
    „Nicht nur ein Tier, sondern viele habe ich gesehen“, antwortete der Gefragte.
    „Wo?“
    „Gerade vor uns in der Lichtung.“
    „Welcher Art?“
    „Pferde, und auch Menschen waren dabei.“
    „Pferde und Menschen? Wer könnte das sein? Was wollen die hier? Wie viele waren es?“
    „Das kann ich nicht sagen, da ich sie nur einen Augenblick lang sah und dann mich hier verstecken mußte.“
    „Das hast du klug gemacht, o Herr. Wir befinden uns hier im Gebiet der Aripones, welche unsere Todfeinde sind; da können wir nicht vorsichtig genug sein. Was taten sie? Ritten sie vor uns her oder auf uns zu?“
    „Sie ritten nicht, sondern sie lagerten.“
    „Dann werde ich mich hinschleichen, um sie zu beobachten.“
    „Laß mich das tun, lieber Anciano! Es ist zu gefährlich, und du bist so alt.“
    „Ich bin nicht zu alt, du aber bist zu jung dazu. Und wie könnte ich dich, Herr, einer solchen Gefahr überantworten!“
    „So gehen wir beide!“
    „Nein. Einer genügt; aber zwei sind zuviel.“
    Sie stritten sich noch eine kurze Zeit, da jeder die Gefahr auf sich nehmen wollte; aber der Alte setzte in aller Liebe seinen Willen durch und entfernte sich, nachdem er dem Jüngling angedeutet hatte, den Ort auf keinen Fall zu verlassen. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er

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