36 - Das Vermächtnis des Inka
zurückkehrte; dann kam er geschlichen und meldete: „Es sind wirklich Aripones. Ich zählte fünfzig Pferde und ebenso viele Leute.“
„Woher mögen diese Menschen die Pferde haben?“
„Gestohlen natürlich.“
„Wie waren sie bewaffnet?“
„Mit Lanzen, Bogen, Pfeilen und Blasrohren.“
„So haben sie Giftpfeile bei sich, und man muß sich in acht nehmen. Was tun wir? Können wir vorüber?“
„Nein. Die Öffnung des Waldes ist zu schmal.“
„So schleichen wir unter den Bäumen an ihnen vorbei.“
„Auch das geht nicht. Der Wald ist undurchdringlich. Die Schlingpflanzen bilden eine dichte Masse, durch welche man nicht gelangen kann. Schon jetzt war es mir unmöglich, wenigstens am Saum hin mich so weit anzuschleichen, daß ich die Leute sehen und genau zählen konnte.“
„So können wir also gar nicht weiter vorwärts?“
„Nein. Wir müssen zurück und uns eine andere Öffnung des Waldes suchen. Komm, o Herr!“
Sie gingen zurück, bis sie den Campo wieder erreichten, und schritten dann in der vorigen Richtung am Wald hin. Dieser machte nach einiger Zeit einen Bogen nach Norden, den sie dadurch abschnitten, daß sie die dadurch entstehende halbkreisförmige Prärie geradewegs überschritten. Die erste Hälfte des Nachmittags war vergangen, und die Sonne neigte sich stark dem westlichen Horizont entgegen.
Indem sie über diese offene Prärie marschierten, erblickten sie plötzlich links von sich, also im Süden und dem Fluß zu, einen einzelnen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp näher kam. Und zu gleicher Zeit bemerkten sie vor sich im Gras eine dunkle Linie, eine breite Spur, die nach Nordwest führte, und welcher dieser Reiter zu folgen schien. Sie blieben überlegend stehen.
„Was tun wir?“ fragte der Inka. „Weichen wir ihm aus?“
„Das ist unmöglich“, meinte der Alte. „Er ist schneller als wir und würde uns einholen. Übrigens brauchen wir uns vor einem einzelnen Mann doch nicht zu fürchten.“
„Auch nicht, wenn er zu den Aripones gehört?“
„Auch dann nicht; denn ehe er sie herbeiholen könnte, wären wir schon weit fort. Übrigens glaube ich zu sehen, daß er ein Weißer ist.“
Der Reiter hatte natürlich auch sie gesehen und kam auf sie zu. Bei ihnen angekommen, hielt er sein Pferd an, grüßte und fragte in spanischer Sprache:
„Darf ich erfahren, Señores, woher Sie kommen?“
„Wir kommen vom Paraná her“, antwortete Anciano höflich in derselben Sprache.
„Und wohin wollen Sie?“
„Durch den Gran Chaco hinauf in die Berge.“
„Wer sind sie?“
„Wir sind Indianer, die zu keiner Partei gehören und mit den Weißen in Frieden leben.“
„Das freut mich. Ich bin Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardianta.“
„Ein sehr langer und wohl auch sehr vornehmer Name, Señor, nicht?“
„Ja. Ich stamme aus Altkastilien, wo meine Ahnen auf Burgen und Schlössern wohnten. Aber da Sie durch den Chaco und nach den Bergen wollen, so fällt mir ein – gehören Sie etwa zur Gesellschaft des Vaters Jaguar?“
„Des Vaters Jaguar? Ist dieser berühmte Mann denn hier?“
„Allerdings. Ich suche ihn. Ich glaube, die Fährte, die Sie da vor sich sehen, ist die seinige. Also Sie gehören nicht zu ihm?“
„Nein; aber wir würden uns sehr freuen, wenn wir ihn treffen könnten; denn er würde uns gewiß erlauben, uns ihm anzuschließen. Also Sie meinen, daß dies seine Spur ist?“
„Ja. Wir hatten seine Fährte schon einmal, ritten aber nicht auf derselben fort, weil wir bei einem vorweltlichen Tier halten blieben. Dann als ich die Fährte brauchte, war sie verschwunden. Nachher aber erreichte ich eine Stelle, wo der Vater Jaguar haltgemacht haben muß, und von da aus ist die Spur wieder zu sehen.“
„So bitten wir, derselben mit Ihnen folgen zu können!“
„Gern, wenn Sie nicht zu langsam gehen. Ich habe nämlich Eile.“
„Wir gehen schnell.“
„So kommen Sie!“
Er ritt in ziemlich schnellem Schritt weiter, und sie waren so gute Läufer, daß es ihnen nicht schwer wurde, sich an seiner Seite zu halten. Dabei meinte er, sie noch genauer als bisher betrachtend: „Sie kennen meinen Namen und meine edle Abstammung, Señores. Darf ich nun auch wissen, wie ich Sie zu nennen habe?“
„Ich heiße Anciano, und der Name meines Enkelsohnes ist Haukaropora. Wem dieser Name zu lang ist, der pflegt gewöhnlich nur Hauka zu sagen.“
„Das werde auch ich tun, denn es findet da eine Amputation der letzten drei Silben
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