3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Aufbruch will ich mir an einer Tankstelle mein Frühstück besorgen. Als ich den Croissant bezahlen will, finde ich nicht 1,20 Franken, sondern gähnende Leere in meinem Portemonnaie. Als mir die nette Verkäuferin mitteilt, dass sich der nächste Geldautomat ungefähr 2 km in die falsche Richtung befindet, gebe ich den Gipfeli (so heißen Croissants in der Schweiz) zurück, weil ich keine Lust habe, 4 km Umweg zu laufen, um wieder flüssig zu sein.
Daraufh in drückt sie mir das Hörnchen wieder in die Hand und schenkt es mir einfach. An einer überdachten Bushaltestelle genieße ich den Croissant mit Nutella, das ich mir gestern in Interlaken gegönnt hatte, und gedenke meines toten Vaters. Es macht mich immer noch traurig, wenn ich daran denke, dass er schon mit 55 Jahren von uns gegangen ist und passend zu meiner Stimmung weint der Himmel an diesem Morgen gemeinsam mit mir.
Als das Wetter besser wird, pilgere ich weiter und laufe erst mal einen total schwachsinnig ausgeschilderten Umweg. Der Weg und das Wetter werden wieder sehr schön. Kann auch langsam losgehen mit dem Sommer, brauche dringend Sonne! Irgendwann laufe ich an einem Gehege vorbei in dem zwei Zebras stehen! Als wollte die Schweiz sagen: “Hey, hier gibt’s nicht nur Kühe!“, ist das mal eine witzige und überraschende Abwechslung zu den geschätzten 20 Milliarden Kühen mit Glocken.
Ach ja die Glocken: Es gibt Tage, an denen ich sie nicht mehr hören kann und sie mir echt auf die Nerven gehen. Von morgens bis abends dieses Glockengeläut!
An einem Feiertag, ich weiß nicht mehr , welcher es war, kam auch noch eines der liebsten Hobbys der Schweizer dazu: Schießen! Zu meiner Linken hunderte, nein tausende grasende Kühe, geschmückt mit Glocken unterschiedlicher Größe, zu meiner Rechten ein von Schüssen erfülltes Tal, habe ich an diesem Tag in diesem neutralen Land das Gefühl, der Krieg wäre ausgebrochen und die Glocken läuten dazu. Stundenlang kommt kein Ort, kein Geldautomat, keine Möglichkeit, Proviant einzukaufen, und noch nicht mal ein Haus, wo ich nach etwas Wasser und Brot fragen könnte.
N ur den Croissant im Magen und auf dem letzten Tropfen, komme ich, als der Hunger langsam unerträglich wird, endlich an einem Haus vorbei. Ich frage nach Brot, Käse und Wasser. Als Regina, eine der drei Bewohnerinnen des Hauses, wiederkommt mit dick belegten Käsebroten, ein paar Schokoriegeln und meiner aufgefüllten Wasserflasche, fragt sie mich, ob ich unterwegs oder bei ihnen essen wolle. Gerne nehme ich die Einladung zu einer Pause auf ihrer rustikalen Terrasse und in ihrer Gesellschaft an, und als ich gerade die Käsebrote verschlinge, empfiehlt mir Regina, noch etwas Platz für das Mittagessen zu lassen. Theresa ist in die Küche verschwunden und fährt kurze Zeit später ein tolles Essen auf inklusive Dessert, Kaffee und Keksen!
Ich bin überwältigt! Nach der sehr ausgedehnten und bisher schönsten Pause bei Regina, Theresa und Maya - ich würde am liebsten ein paar Tage hier bleiben - reiß ich mich dann doch los und setze meinen Weg über wunderschöne Höhenwege fort. Am frühen Abend erreiche ich die Klosterruinen von Rüeggisberg und den schön in die Ruinen integrierten Hof von Ruth und Kasper, der gleichzeitig Pilgerherberge ist. Ich bin an diesem Abend einziger Gast in ihrer Herberge, die übrigens wärmstens von meinem Wanderführer empfohlen wird.
Ich schaffe es wieder, mit Ruth meine Übernachtung gegen Mitarbeit auszuhandeln und verbringe mit Ruth, Kasper und ihrer Tochter einen kurzen, aber schönen und gemütlichen Abend in ihrer Wohnküche.
Fazit des Tages: Only the good die young!
Montag, 26. Mai,14. Tag:
Rüeggisberg, lauffrei!
Nach einem guten Frühstück geht’s an die Arbeit. Bei Nieselregen und mal wieder ziemlich ungemütlichen Temperaturen geht’s im Garten an die Arbeit. Zweieinhalb Stunden geht alles gut, aber dann meldet sich wieder mein Rücken. Diesmal so schlimm, dass ich kurze Zeit später abbrechen muss, weil gar nichts mehr geht und ich bei jeder Bewegung Schmerzen habe.
Glücklicherweise kann ich noch eine Nacht bleiben, also nehme ich ein traumhaftes heißes B ad (ja, es gibt eine Badewanne im Gemeinschaftsbad!) und kuriere mich den Nachmittag über, meist liegend, aus. Diese Erholung habe ich auch mal dringend gebraucht.
Seit zwei Wochen mute ich meinem untrainierten Körper ungeheure Strapazen zu . Hatte
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