3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
0,5er-Dose eiskaltes Bier mit für unterwegs. Sehe ich etwa jetzt schon aus wie ein Alkoholiker? Egal, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, also warte ich nicht, bis das Bier warm wird und ziehe mir in meiner ersten Pause zur Feier des Tages ein schönes kaltes Pils rein. Und zu feiern gibt’s heute ja wirklich was:
I ch werde endlich den Genfer See erreichen, den Anfang vom Ende der Schweiz! Die letzte Stunde vor Lausanne geht wieder brutal an die Substanz, weil ich erschöpft bin und im Dauerregen laufe. Irgendwann hab ich dann auch mal wieder echt keinen Bock mehr und schimpfe wie ein Kesselflicker vor mich hin.
Ab er dann entschädigt mich der Weg wieder für die Strapazen, mit dem größten Gänsehautmoment bisher, der mich andächtig innehalten lässt: Von der letzten Anhöhe aus erblicke ich zum ersten Mal Lausanne und den Genfer See! Ich weiß, dass ich das erste ganz große Etappenziel erreicht und die Schweiz in ein paar Tagen zu Fuß bezwungen haben werde. Und auch weil ich mir ja mittlerweile sicher bin, dass ich es bis Santiago schaffen werde, fällt in diesem Augenblick so unbeschreiblich viel von mir ab und zum ersten Mal schafft es der Jakobsweg, mich zum Heulen zu bringen!
Als ich dann endlich die fünftgrößte Schweizer Stadt, die auch Sitz des internationalen Olympischen Komitees ist, erreiche, lacht auch wieder der Himmel, als freute er sich mit mir darüber, dass ich jetzt die schlimmsten Prüfungen überstanden habe.
Nachdem ich mir in der schönen Kathedrale, die erst mal wegen Feueralarm etwas unfreundlich geräumt wird, einen Stempel abgeholt habe, lasse ich das zentral gelegene Backpacker Guesthouse links liegen, weil es ohne Frühstück genauso viel kostet wie die Jugendherberge, und mache mich auf den Weg dorthin, wo ich nach einer weiteren dreiviertel Stunde endlich total erschöpft einchecke.
Panorama des Tages: Genfer See!!!
Gefühl des Tages: Gänsehaut!!!
Gewissheit des Tages: Ich werde jetzt nicht stehen-bleiben, ich werde auch den Rest des Weges gehen!
Samstag, 31. Mai, 19. Tag:
Lausanne - St. Prex, 17 km
Den ganzen Vormittag regnet es und als ich beschließe, noch eine Nacht in Lausanne zu bleiben, wenn es bis 14:00 Uhr nicht aufhört zu regnen, hört es prompt tatsächlich um kurz vor 14:00 Uhr auf! Soll wohl doch so sein, dass ich meinen nächsten lauffreien Tag erst wie geplant in Genf habe. Für die ca.75 Kilometer bis dahin habe ich drei Tage eingeplant.
Als Etappenziel für heute habe ich mir St. Prex vorgenommen. Der Weg dorthin ist nicht nur landschaftlich sehr reizvoll, sondern auch lauftechnisch sehr angenehm und eine der schönsten Strecken bisher. Die meiste Zeit führt der Weg vorbei an alten Baumbeständen, durch schöne gepflegte Parkanlagen oder über kleine Promenaden und ist meistens nur wenige Meter vom Genfer See entfernt. Da Petrus sich auch wieder von seiner gnädigen Seite zeigt und meine Etappe heute nicht endlos erscheint, sondern schön kurz ist, macht es heute mal richtig Spaß!
Nur mein rechter Fuß zickt mit seiner alten Sprunggelenksverletzung etwas rum. In Morges laufe ich durch die schöne Fußgängerzone und dann noch bis St. Prex einige Kilometer an Bahngleisen entlang. In St. Prex selbst führt der Weg wieder an den See und als ich kurz bei einem kleinen Straßenfest stehenbleibe und der Live-Musik zuhöre, werde ich von der Band begrüßt, die mir einen guten Weg wünscht. Als ich mich bedanke und schon weitergehen will, läuft mir die Organisatorin hinterher und lädt mich ein, am Fest teilzunehmen, was ich aber dankend ablehne, weil ich erst mal ankommen möchte und auch noch nicht weiß, wo ich heute Nacht unterkommen werde.
In meinem Wanderführer steht zwar eine Bed & Breakfast Adresse, aber ich habe gehört, dass die Katholische Gemeinde von St. Prex Pilger aufnimmt. Als ich das erwähne und nach der Kirche frage, winkt die nette Dame einen Kollegen heran, der mich kurzerhand, Widerstand zwecklos, in sein Auto lädt und zur Kirche fährt.
Das i st auch gut so, denn ich hätte die viel ältere protestantische Kirche - durch den Calvinismus sind um den Genfer See eben nicht die katholischen, sondern die protestantischen Kirchen älter - für die katholische Kirche gehalten.
Ich werde an der katholischen Kirche abgesetzt, in der gerade eine Messe stattfindet. Bin ich ja gewohnt, also warte ich brav ab und finde nach der
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