3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
egal. In Montcuq kaufe ich mir Proviant für mein Mittagessen, laufe aber noch ein Stück aus dem Ort heraus, weil ich mittlerweile viel lieber in der Natur esse, und suche mir einen schönen schattigen Platz.
Als ich nach meiner Pause weitergehe, treffe ich eine halbe Stunde später wieder die Gruppe, de r ich seit Cahors immer mal wieder über den Weg laufe. Die meist jungen Franzosen sind alle miteinander verwandt und ich werde von ihnen eingeladen, mich zu ihnen zu gesellen. Obwohl meine letzte Pause nicht gerade lange her ist, nehme ich gerne an und laufe nach der ausgiebigen Siesta eine Weile mit ihnen.
Sie gehören zu der So rte der ganz gemütlichen Pilger und haben nur kleine oder gar keine Rucksäcke dabei. Diese werden nämlich neben dem Proviant von ihrer Oma bzw. Mutter oder Tante im Auto transportiert, mit dem sie an den vereinbarten Pausenplätzen auf sie wartet. Wer müde, lädiert oder einfach fußfaul ist, kann sich dann auch einfach zum nächsten Rastplatz oder zum Etappenziel mitnehmen lassen.
Weil mir die Gruppe sehr sympathisch ist und sie mir erzählen, dass es in ihrer Gite einen Pool gibt, bin ich drauf und dran , nicht bis Lauzerte zu laufen, überlege es mir dann aber doch anders. Gegen späten Nachmittag erreiche ich mein Etappenziel, das zwar malerisch auf einem Hügel liegt, aber eben auf einem Hügel, der natürlich alles andere als eine malerische Steigung hat, was mir für heute den Rest gibt.
Lauzerte selbst ist aber die Mühe wert . Nach dem Abendessen, bei dem Zoe und ich Jean Marie kennen lernen, schlendern wir noch durch die wunderschöne Altstadt.
Fazit des Tages: Der frühe Vogel kann mich mal!
Freitag, 11. Juli, 60. Tag:
Lauzerte - Moissac, 25,5 km
Heute laufe ich für meine Verhältnisse ausnahmsweise sehr früh los, um 08:45 Uhr. Die Sonne ist heute nicht so gnadenlos wie in den letzten Tagen und das Wetter ist endlich mal wieder perfekt zum Laufen: warm, aber nicht zu heiß, bewölkt und windig, einfach wunderbar. Die Strecke ist zwar anstrengend, aber nicht zu schwer. Mir ist das aber mittlerweile egal, weil ich so fit bin, dass mich kaum noch was schocken kann.
Ich freue mich sogar auf die Pyrenäen, die ja auch nicht gerade ein Spaziergang sein sollen. Seit meinem Aufbruch in Deutschland vor zwei Monaten habe ich außerdem schon ca. fünf Kilogramm Eigengewicht verloren, zuzüglich der Kilos, die ich nach Hause geschickt habe, also insgesamt ca.10 kg! Meine Füße danken es mir mit jedem Schritt.
Es ist schon interessant, dass sich in modernen Industrieländern wie Deutschland Scharen übergewichtiger Menschen in Fitnessstudios abquälen, um ihre überflüssigen Pfunde loszuwerden und dabei auch noch auf ihre Ernährung achten sollten, während mein Körper auf diesem Weg ständig nach Energie verlangt, ich also essen kann, was ich will, soviel ich will und wann ich will und dabei auch noch abnehme.
Zwei Monate bin ich jetzt schon als Pilgervagabund auf dem Jakobsweg unterwegs und dieses Vagabunden leben gefällt mir immer besser. Plötzlich sehe ich vor mir auf dem Weg eine ziemlich lange Schlange, aber sie scheint mehr Angst vor mir zu haben, als ich vor ihr, also ist sie auch schnell wieder verschwunden. Vor Schlangen sollte man sich eigentlich nur in Acht nehmen, wenn man sich auf irgendwelche Mauern setzt und diese wenigstens vorher mit dem Wanderstock abklopfen.
Ich laufe an riesigen, wunderschönen Sonnenblumenfeldern vorbei und erreiche am frühen Nachmittag Moissac.
Kurz vor dem Ortseingang treffe ich wieder auf den Schweizer Jean Marie, den ich ohne sein Wissen von hinten fotografiere, während er ein Schild fotografiert, auf dem die noch verbleibenden Kilometer bis nach Santiago angegeben sind, was auch ein beliebtes Motiv von mir ist. Jean Marie ist, wie viele andere auch, in Le Puy losgelaufen und hat ebenfalls Santiago als Ziel.
In den ersten Tagen hat er sich s ofort Etappen von über 30 Kilometer zugemutet und bekommt nun die Quittung von seinem Körper. Er hat Probleme mit seinen Sehnen und ich hoffe sehr, dass sie ihn nicht zum Aufgeben zwingen. Er ist ein sehr sympathischer Kerl!
Mit steigendem Pilgeraufkommen steigt auch die Zahl der Pilger, die sich einfach überschätzen und die Rechnung ohne ihren Körper machen . Ich habe schon von einigen, auch mir bekannten Pilgern gehört, dass sie aufgeben mussten, weil die Schmerzen in den Füßen,
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