37 - Satan und Ischariot I
Old Shatterhand für mich?“
Er war es also wirklich! Ein anderer an meiner Stelle hätte in diesem Augenblick wohl alles andere eher empfunden als das, was ich fühlte, nämlich innige Freude darüber, daß der kleine Kerl außer großem Mut auch den Scharfsinn und denjenigen Grad von Schlauheit besaß, welcher ihm notwendig war, wenn er später ein berühmter Krieger werden wollte. Er wünschte, sich einen Namen zu erwerben; er hatte geglaubt, daß sein Wunsch bei mir eher in Erfüllung gehen werde als sonst anderswo; nun, wenn er die dazu erforderlichen Eigenschaften in diese Weise und in diesem Grad bewährte, so konnte seine Erwartung sehr bald in Erfüllung gehen.
Ehe ich ihm antwortete, lauschte ich einige Augenblicke, ob seine letzte Bewegung vielleicht dem Wächter aufgefallen sei oder einen der Schläfer geweckt habe; es war nicht der Fall, und so wendete ich ihm mein Gesicht zu und flüsterte im leisesten Ton:
„Hast du Pferde?“
„Ja“, antwortete er ebenso leise.
„Und all meine Sachen?“
„Alle.“
„Wo?“
„Seitwärts der Hazienda, am Felsen festgebunden, wo es keine Spuren gibt.“
„Das ist klug. Wie bist du hierhergekommen?“
„Ich sah, daß Old Shatterhand gefangen wurde, weil er mich retten wollte. Ich vermutete, daß man nach mir suchen und dabei die Pferde finden würde. Ich wollte die Feinde von ihnen ablenken und eilte darum allein fort, aus dem Tal hinauf und über die Ebene, bis ich Felsen fand, wo die Yuma meine Fährte verlieren würden. Mein Stamm kennt die Schnelligkeit meiner Füße; kein Yuma hat mich ereilen können; sie waren so weit hinter mir, daß ich sie nicht sah, und sie haben mich also auch nicht sehen können. Als meine Spuren nicht mehr zu bemerken waren, lief ich in einem Bogen, um ihnen auszuweichen, wieder nach dem Tal zurück, wo ich mich auf die Lauer legte. Ich sah sie unverrichteter Sache wiederkommen und beobachtete sie weiter. Als sie aufbrachen, nahm ich die Pferde und ritt hinter ihnen her, um Old Shatterhand zu befreien. Ich werde dafür gern mein Leben geben, weil er meinetwegen ergriffen worden ist.“
„Du wagst viel, doch sehe ich, daß du vorsichtig und klug genug bist, es auszuführen. Ich denke, daß ich mit deiner Hilfe bald frei sein werde.“
„Bald? Warum nicht gleich? Ich habe mein und auch dein Messer mit und werde dich losschneiden.“
„Das wirst du nicht tun, denn die Folge würde sein, daß auch du in die Gefangenschaft gerietest. Du mußt aber frei bleiben.“
„Old Shatterhand mag bedenken, daß alle schlafen und nur dieser eine wacht! Er ist blind; er sieht mich nicht.“
„Und du magst bedenken, was geschehen muß, ehe ich von der Erde aufzustehen vermag. Vom Fortspringen will ich gar nicht reden. Du mußt die Riemen zerschneiden, welche für die Nacht um meinen Körper gebunden sind; das währt, weil wir sehr langsam und vorsichtig verfahren müssen, wohl eine Stunde. Dann muß ich mich aus der Decke rollen, was nur in der Hälfte der Zeit geschehen kann, und wenn das gelungen ist, so sind noch immer die Fesseln von meinen Händen und Füßen zu entfernen.“
„Das geht dann schnell. In zwei Stunden sind wir fertig.“
„Wir würden fertig sein; aber mein junger Bruder mag meine Wächter zählen. Es sind ihrer fünf; sie werden also abwechseln, einander ablösen. Jeder wird, ehe er mich von dem vorigen übernimmt, mich untersuchen, um sich zu überzeugen, daß ich noch fest gebunden bin. Man traut mir nicht. Du siehst also ein, daß ich in dieser Nacht unmöglich fort kann.“
„Old Shatterhand hat recht; ich werde also in der nächsten Nacht wiederkommen.“
„Du würdest mich ebenso finden wie jetzt und mich ebenso wieder verlassen müssen.“
„Aber wann soll ich da überhaupt kommen? Wie lange soll ich dich in ihren Händen lassen? Wenn Sie dich töten, so werde ich nie wieder in unseren Wigwams erscheinen dürfen, denn alle würden auf mich zeigen und mich anspucken, weil ich durch meinen Leichtsinn Old Shatterhand in die Gefangenschaft und in den Tod gebracht habe.“
„Sie töten mich jetzt noch nicht, sondern sie wollen mich für den Marterpfahl aufsparen, welcher erst nach ihrer Heimkehr errichtet wird.“
„Das ist gut; mein Herz wird leicht! Aber wie soll ich dich befreien, wenn ich nicht wieder zu dir kommen darf?“
„Ich mache mich schon selber los. Da aber meine Füße von den Banden taub geworden sind und mich nicht weit tragen würden, so wünsche ich, daß du im Augenblick,
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