37 - Satan und Ischariot I
ich ja an der großen Lebenseiche zusammentreffen wollte.
Die Roten schlachteten ein Rind, ein Schwein und mehrere Schafe, deren Fleisch gebraten wurde. Sie verzehrten große Quantitäten desselben und ließen auch ihre Gefangenen nicht Hunger leiden. Ich bekam so viel, daß ich es nicht aufessen konnte, wobei man mir abermals die Hände freigab, um sie dann augenblicklich wieder zu fesseln. Wenn man das beim Essen immer so machte, so konnte das ein Mittel zu meiner Befreiung werden, wenn sich nichts anderes und leichteres fand. Denn es war schwer und außerordentlich lebensgefährlich, auf diese Weise loszukommen. Ich mußte vor aller Augen, wenn meine Hände frei waren, die Riemen von den Füßen lösen. Wenn das nicht außerordentlich schnell geschehen konnte, so fand man Zeit, es zu verhindern, und dann stand es fest, daß man mir die Hände nicht wieder freigeben werde. Und selbst wenn es gelang, so mußte meine Flucht angesichts sämtlicher Roten vor sich gehen, und ich hatte dann sicher so viele von ihnen hinter mir her, daß sie mich wieder fassen mußten. Ja, wenn meine Glieder sich in normalem Zustand befunden hätten! Aber die sehr fest angelegten Riemen hinderten den Blutumlauf; infolgedessen wurden die Hände und Füße taub; sie verloren das Gefühl, und es war vorauszusehen, daß besonders die letzteren mir nur mit großer Unsicherheit gehorchen würden. Mit den Händen konnte ich mir eher helfen; ich brauchte sie nur, wenn sie mir nach dem Essen wieder gebunden wurden, so zu halten, daß man die Riemen nicht so übermäßig fest zusammenbrachte. Das tat ich denn auch jetzt; es gelang mir; ich konnte die Handgelenke bewegen, doch noch lange nicht so, daß es mir möglich gewesen wäre, die Fesseln abzustreifen; ja, es war sogar unmöglich, sie mit Verletzung der Haut und des Handfleisches herunterzuwürgen. Ich befand mich eben in einer ganz unbehilflichen und ziemlich aussichtslosen Lage, doch fiel es mir nicht ein, die Hoffnung aufzugeben, denn ich wußte, daß ich einstweilen geschont werden sollte und mir also eine Frist blieb, während welcher sich wohl ein Weg zur Rettung öffnen konnte.
Es wurde Abend; ein Abendessen gab es nicht, weil jedermann vom Nachmittag her noch satt war. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und meine Wächter trafen dabei die Vorsichtsmaßregel, mich in eine Decke einzuwickeln und mit Riemen zu umbinden, so daß ich wie ein Säugling im Bündel bewegungslos im Gras liegen mußte. In diesem Zustand war ich des Gebrauches selbst des kleinstes Gliedes beraubt, schlief aber doch so gut, wie es unter solchen Umständen möglich war.
Ich hätte wohl bis zum Morgen fest geschlafen, wenn ich nicht durch eine eigenartige Berührung aufgeweckt worden wäre. Ich wurde nämlich an den Haaren gezerrt und schlug infolgedessen die Augen auf. Ringsum herrschte nächtlicher Dämmerschein, während es unter dem Baum, wo ich lag, finster war. Trotz dieser Dunkelheit sah ich einen meiner Wächter vor mir sitzen, zu meinen Füßen, nicht ganz zwei Ellen von denselben entfernt; die anderen lagen rund um mich her und schliefen, während er wachte. Er rauchte eine Zigarre, jedenfalls von dem Vorrat, den man in der Hazienda erbeutet und dann verteilt hatte.
Wer hatte mich berührt? Ein Yuma sicherlich nicht, denn aus welchem Grund hätte einer der Wächter mich in dieser Weise aus dem Schlaf wecken sollen? Und hätte es einer getan, so hätte er nun gesprochen, mir gesagt, was er wolle; es blieb aber still. Ich dachte sogleich an meinen kleinen Mimbrenjo, hütete mich, einen Laut von mir zu geben, und hob und senkte den Kopf aber einige Male, um zu zeigen, daß ich aufgewacht sei. Derjenige, welcher es war, mußte hinter mir, so daß ich ihn nicht sehen konnte, im Gras liegen, und dieses war, wie ich bemerken muß, über einen Fuß hoch; einem schlanken Knaben, wie der Mimbrenjo war, bot es also wohl hinreichend Schutz, so daß er bei der hier herrschenden Dunkelheit selbst von dem so nahe sitzenden Wächter nicht bemerkt werden konnte. Dennoch war es eine staunenswerte Kühnheit, sich durch die um mich herliegenden Schläfer bis an meinen Kopf zu wagen.
Als ich die erwähnten Bewegungen gemacht hatte, hörte ich hinter mir ein leises, reibendes Geräusch, wie wenn jemand sich mit äußerster Vorsicht kriechend im Gras fortbewegt; er schob sich weiter zu mir heran, bis sein Kopf neben dem meinigen lag, hielt mir den Mund an das Ohr und hauchte:
„Ich bin es, der Mimbrenjo. Welchen Befehl hat
Weitere Kostenlose Bücher