38 - Satan und Ischariot II
sorgfältig aufbewahrt, so werden die Gründe, infolge deren er dies getan hat, wohl auch noch einige Zeit fortwirken. Wir lassen ihn ja nicht aus den Augen; er ist uns sicher, und wir werden zu jeder Zeit wieder zu den Briefen kommen können.“
„Hast recht! Es gibt zunächst, ihn nicht mißtrauisch zu machen. Winnetou mag die Brieftasche wieder in den Koffer tun und diesen verschließen.“
Das war freilich keine leichte Aufgabe; aber hatte der Apache eine so große Geschicklichkeit bei der Entwendung des Schlüssels entwickelt, so stand zu erwarten, daß er beim Zurückgeben desselben sich auch nicht ertappen lassen werde. Er nahm also die Brieftasche wieder zu sich und schlich fort. Am anderen Morgen berichtete er uns, daß der falsche Hunter geschlafen und also nichts davon gemerkt habe, daß der ebenso falsche Somali Ben Asra während der Nacht an seinem Koffer gewesen sei.
Auch den ganzen Tag über war Hunter ganz unbefangen gegen uns, doch wartete ich vergeblich, daß er die Rede wieder auf unsere Abmachung bringen möge; er tat dies nicht. Jedenfalls fürchtete er meine Wißbegierde; er wollte nicht durch Fragen in Verlegenheit gebracht werden. Die folgende Nacht verging, und als der nächste Morgen anbrach, näherten wir uns dem Ziel. Jetzt kam er doch endlich zu mir und fragte:
„Sind Sie noch willens, mir den Gefallen zu tun, von welchem wir gesprochen haben?“
„Natürlich!“ antwortete ich. „Was ich einmal verspreche, das pflege ich auch zu halten.“
„Sie wollen sich erkundigen, ob der Kolarasi in Tunis anwesend ist, und dann nach Zaghuan kommen, um es mir zu sagen?“
„Ja.“
„Sie können es am besten erfahren in den Kasernen nördlich von der Stadt. Wann darf ich Sie da wohl draußen in Zaghuan erwarten?“
„Wahrscheinlich schon am frühen Nachmittag.“
„Schön! Dann habe ich nur noch eine Bitte. Da ich den weiten Weg von Kap Chamart bis nach Zaghuan zurücklegen muß und dabei so wenig wie möglich auffallen darf, ist es für mich nicht geraten, meinen Koffer mit ans Land zu nehmen. Würden Sie die Güte haben, denselben bis in den Hafen in Ihre Obhut zu nehmen und dann durch einen Kofferträger zum Pferdehändler nach Zaghuan zu senden?“
„Recht gern.“
„So will ich mich jetzt von Ihnen verabschieden. Also bis auf Wiedersehen am Nachmittag!“
Er gab mir die Hand und ging nach seiner Kajüte. Auf einen Wink von mir folgte ihm Winnetou dorthin, was gar nicht auffallen konnte. Der Apache meldete mir sodann, daß Hunter die Brieftasche aus dem Koffer genommen und zu sich gesteckt habe.
Das war's, was ich wissen wollte.
Am Kap ließ der Kapitän beidrehen, um ihn in einem Boot ans Land bringen zu lassen; dann dampften wir weiter nach dem Hafen, wo ich nicht verfehlte, den Koffer einem Träger zu übergeben.
Es fiel mir gar nicht ein, die versprochene Erkundigung in einer Kaserne einzuholen, sondern ich wollte gleich an die richtige Schmiede gehen, nämlich zu meinem Freund Krüger-Bei. Wo dieser zu finden war, wußte ich genau. Er hatte zwei Dienstwohnungen, eine in der Kasbah, dem Palast des Herrschers in der Stadt, und eine in Bardo, einer vier Kilometer vor der Stadt gelegenen starken Burg, welche der Sitz der Regierung ist. Meine Gefährten in einem Hotel der unteren Stadt lassend, ging ich zunächst nach der Kasbah, wo er nicht war; darum spazierte ich dann hinaus nach dem Bardo. Jeder Schritt war mir bekannt, denn ich hatte während meiner beiden früheren Aufenthalte diesen Weg sehr oft hinaus zu meinem ebenso lieben wie originellen ‚Herrn der Heerscharen‘ gemacht.
Im Bardo angekommen, sah ich, daß in Beziehung auf die Lokalitäten, nach denen ich wollte, nichts verändert worden war. Im Vorzimmer saß ein alter Unteroffizier, welcher, wie ich wußte, die Kommenden anzumelden hatte. Er rauchte seinen Tschibuk und hatte den Säbel gemütlich abgeschnallt und neben sich liegen.
„Was willst du?“ fragte er mechanisch, ohne mich anzusehen.
Ich kannte ihn sehr gut, dieses alte Inventarstück des ‚Herrn der Heerscharen‘. Er war mein Liebling gewesen, damals noch Onbaschi, jetzt aber, wie ich sah, zum Tschausch aufgerückt. Der biedere, graubärtige Moslem mußte jetzt weit über sechzig Jahre zählen, sah aber noch so rüstig aus wie damals, als er meinen Führer zu den Uled Said gemacht hatte. Er hieß eigentlich Selim, wurde aber stets nur der alte ‚Sallam‘ genannt, weil er dieses Wort stets im Mund führte und ihm, wie man bald sehen wird,
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