38 - Satan und Ischariot II
unterstützen mich. Sie sind Freund mit Emery Bothwell?“
„Ja.“
„So will ich Sie nicht von ihm trennen. Wohnen Sie also mit ihm zusammen, während Ihr Somali meine Kajüte mit mir teilen mag. Ist Ihnen das recht?“
Ich gab meine Zustimmung, da ich befürchtete, sein Mißtrauen zu erregen, falls ich mich ihm als Genossen anbieten würde. Übrigens hielt ich es jetzt nicht mehr so wie vorhin für notwendig, ihn zu beobachten, weil ich ihm bei der Befreiung des Kolarasi helfen sollte und dabei jedenfalls viel besser erfahren konnte, was ich wissen wollte.
Jetzt war ich mehr als vorher überzeugt, mit wem ich es zu tun hatte. Der junge Mann war Jonathan Melton, und der tunesische Hauptmann war sein Vater Thomas Melton, der damals auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Hätte dieser Jonathan gewußt, daß ich den Brief bei mir in der Tasche trug, den er seinem Oheim Harry Melton, dem Satan, geschrieben hatte!
Er wollte in Tunis verborgen bleiben, angeblich um späteren Mißhelligkeiten infolge der Desertion des Hauptmanns auszuweichen; ich aber kannte den eigentlichen Grund, welchen er mir natürlich nicht mitteilte. Der eigentliche Small Hunter war auf irgendeine Weise nach Tunis zu dem Hauptmann gelockt worden, um von diesem auf die Seite gebracht zu werden; ehe er verschwunden war, durfte natürlich sein Nachfolger, der sich für ihn ausgeben wollte, nicht erscheinen. Die Abwesenheit des Hauptmanns stand mit der Ermordung Hunters in engster Beziehung. Solange sie währte, war Hunter vielleicht noch zu retten; befand sich aber der Hauptmann jetzt wieder in Tunis, so war Hunter tot. Jetzt brannte mir das Deck des Schiffes unter den Füßen; ich hätte am liebsten den Hafen von Goletta vor mir sehen und über Bord springen mögen, um keinen Augenblick zur Rettung des Bedrohten zu verlieren.
Ebenso erging es Emery, als er von mir hörte, was ich von dem falschen Hunter erfahren hatte. Winnetou war infolge seines kühleren Naturells bedeutend ruhiger und ging, als es Abend geworden war, mit dem gefährlichen Menschen so ruhig und unbedenklich schlafen, als ob dieser der größte Ehrenmann sei.
Die beiden Kajüten, welche uns angewiesen worden waren, lagen nicht nebeneinander; sie waren vielmehr durch zwei kleine Räume, deren Zweck ich nicht kannte, voneinander getrennt; also konnten diejenigen, welche sich in der einen befanden, nicht beobachten, was in der anderen vorging. Dennoch sprachen wir, als ich mich mit Emery über unsere gegenwärtige Aufgabe unterhielt, nur leise miteinander; es geschah dies aus einer Vorsicht, welche wir aus Gewohnheit übten, obgleich sie höchstwahrscheinlich nicht notwendig war. Trotz allem, was ich von Hunter, den ich noch immer so nennen will, obgleich er nicht Hunter, sondern Jonathan Melton war, erfahren hatte, bedauerte Emery es lebhaft, daß dieser mich nicht zu sich einquartiert hatte; er meinte, ich hätte ihn, falls ich mit ihm dieselbe Kajüte bewohnt hätte, noch weit mehr ausfragen können, als es mir bis jetzt möglich gewesen war. Er behauptete, Winnetou könne uns als Schlafgefährte Hunters gar nichts nützen. Auch ich war dieser Ansicht; aber wir sollten sehr bald erfahren, daß wir uns geirrt hatten. Wir schliefen nämlich schon längst, als ich – es mochte zwei Stunden nach Mitternacht sein – durch ein leises Klopfen an unserer Tür aufgeweckt wurde. Dasselbe war so leise, daß Emery ruhig weiterschlief; meine Ohren waren geübter als die seinigen.
Ich lauschte. Das Klopfen wiederholte sich; ich stand auf, ging zur Tür und fragte, ohne dieselbe zu öffnen:
„Wer ist draußen?“
„Winnetou“, wurde leise geantwortet.
Jetzt öffnete ich. Der Apache trat ein. Er mußte uns etwas Wichtiges mitzuteilen haben.
„Es ist dunkel hier“, sagte er. „Können meine Brüder kein Licht anbrennen?“
„So willst du uns nicht nur etwas sagen, sondern auch etwas zeigen?“ fragte ich.
„Ja.“
„Ist es von Wichtigkeit?“
„Vielleicht. Ich weiß es nicht. Hunter ging so heimlich und sorgfältig damit um. Es ist ein ledernes Ding, welches die Bleichgesichter eine Brieftasche nennen.“
„Du hast sie ihm heimlich abgenommen?“
„Ich habe sie ihm gestohlen, um sie so bald wie möglich wieder an die Stelle zu legen, von welcher ich sie genommen habe.“
„Hatte er sie einstecken?“
„Nein. Meine Brüder haben den kleinen Koffer gesehen, den er bei sich hat. Als ich mich gelegt hatte, stellte ich mich schlafend. Da öffnete er den Koffer, um
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