38 - Satan und Ischariot II
zu sein; ich beabsichtige vielmehr, dir nur Gutes zu tun. Wenn du hier bleibst, bist zu verloren; du mußt mit mir fort, und da ich nur zu den Soldaten zurückkehren kann, mußt du mit zu ihnen. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten oder gar zu entsetzen. Ich meine es gut mit dir. Ich würde dich nur zwingen, um dich zu retten. Betrachte mich nicht als deinen Feind. Als ich dich in der Erde stecken sah, habe ich mir sofort gesagt, daß du zu den Uled Ayar, also zu meinen jetzigen Gegnern gehörst; dennoch habe ich dich aus der Erde gegraben. Du kannst daran sehen, daß ich kein gefährlicher Feind bin. Ich bin nur mitgezogen, um vielleicht Blutvergießen zu verhüten und, wenn es möglich ist, Frieden zu stiften. Sieh mich an! Habe ich das Gesicht eines Menschen, vor welchem du dich fürchten mußt?“
„Nein“, antwortete sie lächelnd. „Dein Auge blickt freundlich, und dein Gesicht ist mild und gut. Vor dir fürchte ich mich nicht, desto mehr aber vor den Soldaten.“
„Das ist nicht nötig; sie werden alle freundlich mit dir sein; wir führen nicht mit Frauen Krieg.“
„Kannst du ihnen denn befehlen, daß sie mich nicht feindlich behandeln?“
„Ja, und sie werden gehorchen.“
„So bist du ein Oberer von ihnen?“
„Ein Oberer und Gast, und das gilt, wie du weißt, noch viel mehr.“
„Werde ich gefangen sein?“
„Ich verspreche dir, daß du frei sein sollst und alles bekommen wirst, was du brauchst. Ich nehme dich unter meinen ganz besondern Schutz; du wirst stets in meiner Nähe sein, und wer dich antastet, den werde ich streng bestrafen.“
„Und wann kann ich dann gehen?“
„Sobald die Verhältnisse es erlauben und ich erkenne, daß das, was du daheim von uns erzählst, uns nicht mehr schaden kann. Das kann sehr bald werden, vielleicht schon übermorgen.“
„Ich glaube deinen Worten, denn du siehst nicht aus wie ein Betrüger, sondern wie ein ehrlicher Mann. Und da du mir dies versprichst, so – doch siehe“, unterbrach sie sich, „dort kommen zwei Reiter!“
Sie deutete in die Richtung, aus welcher ich gekommen war. Da ich mit dem Rücken nach derselben gestanden hatte, so hatte ich sie nicht gesehen. Auch die Frau war so mit unserem Gespräche beschäftigt gewesen, daß sie die beiden erst dann gesehen hatte, als dieselben schon so nahe waren, daß ich sehen konnte, wer sie waren, nämlich Emery und Winnetou.
„Es werden doch nicht Feinde von dir oder mir sein, o Herr!“ meinte sie besorgt.
„Es sind Freunde von mir, welche mich suchen, weil meine Abwesenheit ihnen zu lange gewährt hat“, antwortete ich. „Du brauchst dich vor ihnen nicht zu fürchten; sie werden dich ebenso beschützen wie ich; sie sind auch fremd und gehören nicht zu dem Stamm der Ayun. Der eine ist ein Inglisi und der andere gar ein Mann aus dem fernen Belad Amierika.“
Als die beiden uns erreicht hatten, hielten sie an, und Emery fragte:
„Warum so lange fort? Hatten Sorge. Warst über zwei Stunden weg; konntest einen Unfall gehabt haben. Sind bis zu deiner Spur geritten und dann derselben gefolgt. Natürlich wieder Abenteuer gehabt?“
„Ja, dieses Weib befand sich mit ihrem Kind in größter Gefahr.“
Ich erzählte ihnen das Vorkommnis, natürlich in englischer Sprache, damit Winnetou es auch verstehen konnte. Als ich geendet hatte, sagte Emery:
„Ganz entsetzlich! Habe von Krüger-Bei gehört, daß Uled Ayun Halunken sind. Weib wird natürlich nicht feindlich behandelt, armes Wesen! Werden ihr zu essen und zu trinken geben.“
Sie stiegen ab. Sie hatten Wasser bei sich. Emery gab ihr dazu Datteln und Winnetou ein Stück Fleisch, welches er aus der Satteltasche hervorzog. Er hatte sich einen Vorrat auf Indianerweise gebraten.
Man sah, die Frau hatte Hunger. Während sie aß, sah ich fern im Osten weiße Punkte auftauchen, welche immer größer wurden, und dann eine zweifache Farbe annahmen, unten dunkel und oben weiß. Als ich in die angegebene Richtung deutete, meinte Emery:
„Ein Trupp Beduinen; unten Pferde dunkel, oben die Burnus hell. Sie kommen gerade hierher. Was tun?“
Die Frau sah, was wir beobachteten; sie blickte also auch gegen Osten und rief erschrocken aus:
„Allah beschütze uns! Wir sind verloren, wenn wir nicht so schnell wie möglich fliehen! Das sind Uled Ayun.“
„Es können auch andere sein.“
„Nein. Sie leben jetzt mit aller Welt in Unfrieden, und wer so offen und am hellen Tag aus der Gegend ihrer Zeltdörfer kommt, der muß ein Uled Ayun
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