38 - Satan und Ischariot II
verändert, und nun sah ich, daß sie nicht viel über zwanzig Jahre alt sein konnte. Ihr Puls bewegte sich, wenn auch nur leise.
Auch das Kind war nicht tot. Ich hatte einen kleinen Flaschenkürbis voll Wasser am Sattelknopf hängen, nahm ihn herab und flößte dem Kleinen von der belebenden Flüssigkeit ein. Es schlug die Augen auf, aber war für Augen! Die Augäpfel waren wie mit einer grauen Haut überzogen; das Kind war blind. Ich gab ihm mehr Wasser; es trank und trank und ließ dann die Lider wieder fallen; es war so erschöpft, daß es sogleich wieder in Schlaf verfiel.
Die Geier hatten sich wieder herangemacht. Wenn sie sich auch nicht bis her zu mir zu kommen trauten, so wagten sie sich doch an die Leiche und zerrten an den Knochen derselben herum, ein geradezu scheußlicher Anblick. Ich legte den Stutzen auf sie an und erschoß zwei von ihnen, worauf die anderen mit heiserem Schreien davonflogen.
Die beiden Schüsse hatten die Frau erweckt. Sie schlug die Augen auf, erhob den Oberkörper, sah zunächst nur ihr Kind, streckte die Arme nach demselben aus, riß es an sich und rief:
„Weledi, weledi, ia Allah, ia Allah, weledi! – Mein Kind, mein Kind, o Allah, mein Kind!“
Dann drehte sie sich zur Seite, sah die Überreste der Leiche, stieß ein herzzerreißendes Wehgeschrei aus, wollte aufspringen, um hinzugehen, fiel aber vor Schwäche und Entsetzen wieder nieder. Sie sah mich nicht, weil ich auf der anderen Seite stand. Da aber schien sie sich auf die letzten Augenblicke, welche ihrer Ohnmacht vorangegangen waren, zu besinnen, denn ich hörte den Ruf:
„Der Reiter, der Reiter! Wo ist er?“
Sie wendete sich zu mir um, sah mich und sprang auf. Sie wankte, aber die Erregung gab ihr Kraft, nicht umzufallen. Nachdem sie mich einen Moment mit unsicherem Blick gemustert hatte, fragte sie:
„Wer bist du? Zu wem gehörst du? Bist du ein Krieger der Uled Ayun?“
„Nein“, antwortete ich. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich gehöre zu keinem hiesigen Stamm; ich bin ein Fremder von weit, weit her und werde dir gern weiterhelfen. Du bist schwach; setz' dich; ich werde dir Wasser geben.“
„Ja, gib Wasser, Wasser, Wasser!“ bat sie, indem sie sich mit meiner Hilfe niederließ.
Ich reichte ihr den Kürbis. Sie trank mit vollen Zügen wie eine Verschmachtende; sie trank ihn ganz aus und gab ihn mir dann zurück. Dabei fiel ihr Blick auf die Leiche; sie wendete sich schaudernd ab, bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und begann, herzzerbrechend zu weinen.
Ich sprach beruhigend auf sie ein; sie antwortete nicht und schluchzte weiter. Da ich annahm, daß die Tränen sie erleichtern würden, schwieg ich und ging zu der Leiche. Der Schädel derselben zeigte mehrere Löcher; der Mann war erschossen worden. Im Boden fand sich keine Spur; der Wind, so leise er ging, hatte alle Eindrücke verweht; der Mord konnte also nicht heute geschehen sein.
Während ich diese Beobachtungen anstellte, hatte die Frau sich so weit beruhigt, daß ich glaubte, nun Antwort zu bekommen; ich kehrte also zu ihr zurück und sagte:
„Dein Herz ist schwer und deine Seele wund; ich möchte dich nicht drängen, sondern dir Ruhe gönnen; aber meine Zeit gehört nicht mir allein, und ich möchte gern wissen, wie ich dir weiter helfen kann. Willst du mir Antwort auf meine Fragen geben?“
„Sprich!“ sagte sie, indem sie die noch immer tränenden Augen zu mir erhob.
„War dieser Tote dein Mann?“
„Nein; er war ein Greis, ein Freund meines Vaters, und wanderte mit mir nach Nablumah, um anzubeten.“
„Meinst du die Ruinen von Nablumah, in denen sich das Grab eines wundertätigen Marabu befindet?“
„Ja; an dem Grab wollten wir beten. Als Allah mir das Kind gab, kam es blind zur Welt; es sollte durch eine Wallfahrt nach dem Grab des Marabu das Licht der Augen erhalten; der Greis, welcher mich begleitete, war auch auf einem Auge erblindet und wollte in Nablumah Heilung suchen. Mein Herr (Mann) erlaubte mir, mit ihm zu gehen.“
„Aber euer Weg führte durch das Gebiet der Uled Ayun, welche sehr räuberisch sind. Zu welchem Stamm gehörst du?“
„Zu den Uled Ayar.“
„So sind die Ayun Todfeinde von dir; ich weiß, daß sie in Blutrache mit euch leben. Es war von euch beiden sehr gewagt, die Wallfahrt ohne Begleitung zu unternehmen!“
„Wer sollte uns begleiten! Wir sind sehr arm und haben daher keinen Anhang, der mit uns hätte gehen sollen, um uns zu schützen.“
„Aber dein Mann, dein Vater konnte
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