38 - Satan und Ischariot II
gekommen, des Gebetes, wenn die Sonne sich hinter dem Horizont niedersenkt. Bei jeder Karawane, bei jedem Trupp, der sich unterwegs befindet, gibt es jemand, welchem das Amt der Vorbeters übertragen ist; ist's kein moslemischer Geistlicher, Derwisch oder Moscheebeamter, so ist's ein Laie, der die zu beobachtenden Funktionen genau kennt. Hier bei uns war es mein Freund, der Feldwebel, der alte Sallam. Kaum berührte die Sonne den Horizont, so rief er mit lauter, weithin schallender Stimme:
„Hai alas Sallan, haï ala felah! Allahu akbar. Aschada anna la ilaha il Allah, aschadu anna Mohammad-ar-rasulullah – auf zum Gebet, auf zum Heil! Gott ist sehr groß! Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Gott! Ich bekenne, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist!“
Darauf folgte der für dieses Gebet vorgeschriebene Lobpreis, welcher aus siebenunddreißig Versen oder Abschnitten besteht, und zu dem in den Moscheen Rauchwerk mit Laudanum geopfert wird. Die Soldaten lagen alle auf den Knien, die Gesichter gen Mekka gerichtet, und verrichteten ihr Gebet mit einer Andacht und Hingebung, welche man manchem Christen wünschen möchte. Nur der Scheik konnte nicht beten, weil er doppelt gebunden war. Er wendete fast kein Auge von mir, und ich bemerkte, daß er mich mit dem Ausdruck der Verachtung und des Hohnes betrachtete. Der letzte Abschnitt des Maghreb lautet:
„Es ist kein Gott als der einzige, der ohne Gefährten ist. Sein ist die Herrschaft, und sein ist das Lob. Er belebt, und er tötet, und er stirbt nicht. In seiner Hand ist das Gute, und er ist über alle Dinge mächtig. Es ist kein Gott als Gott. Er hält, was er versprochen hat, und steht seinen Dienern bei. Er erhöht sein Heer mit Ehre und vernichtet der Feinde Heere, er, der einzige. Es ist kein Gott als Gott, und wir dienen keinem anderen als ihm, wir, seine Diener, die aufrichtigen, die treuen, wenn uns auch die Ungläubigen deshalb verabscheuen. Lob sei Gott, dem Herrn der Welten! Lobpreis ihm in der Morgen- und in der Abendzeit! Sein ist das Lob im Himmel und auf Erden, im Morgen- und im Abendrot, vormittags, nachmittags und mittags!“
Kaum waren diese letzten Worte verklungen und die Betenden hatten sich erhoben, so zischte mir der Scheik zu, daß alle, die sich in meiner Nähe befanden, es hören konnten:
„Nun, du Hund, wie steht es mit deinem Wort, mit deinem Schwur?“
Ich antwortete nicht.
„Du scheinst deine Drohung vergessen zu haben! Drohen kannst du leicht, zur Ausführung aber fehlt dir der Mut!“
Ich sagte immer noch nichts.
„Nun bist du ein Lügner, der sein Wort, nachdem er es herausgespien hat, wieder frißt! Wolltest du mich nicht noch vor dem Abendgebet bestrafen? Nun ist es vorüber. Ich verachte dich!“
„Sallam!“ rief ich jetzt.
Der alte Feldwebel kam heran.
„Was hast du jetzt gebetet?“
„Das Maghreb.“
„Welches Gebet kommt dann, wenn es vollständig dunkel geworden ist?“
„Das Aschia – das Abendgebet.“
„Gut. Rufe den Bastonadschi!“
„Wer soll denn bestraft werden?“
„Der Scheik der Uled Ayun.“
„Wieviel Hiebe?“
„Hundert.“
„Herr, dann wird er uns Beschwerde verursachen, denn er wird mehrere Tage nicht gehen können.“
„Nicht Bastonade, sondern Hiebe auf den Rücken.“
„Das ist etwas anderes! O Herr, Allah segne deine Gedanken! Jetzt werden wir endlich einmal wieder die ‚Beschließerin‘ beten können; das ist seit langer Zeit nicht vorgekommen: bei jedem Namen ein Hieb. Erlaubst du mir, die Namen herzusagen? Ich tute das so gern!“
„Meinetwegen!“
Er ging, um meinen Auftrag auszuführen. Bei welcher muselmännischen Truppe gäbe es keinen Bastonadschi oder Kurbadschi! Der Mann, ein Unteroffizier, war schnell mit seinen Gefährten zur Stelle, und die Soldaten, voran die Offiziere, versammelten sich wieder bei dem Zelt des Obersten.
Dieser fand nichts mehr gegen die Exekution einzuwenden; ja er freute sich so darauf, daß er für sich und uns Pfeifen stopfen ließ, um ihr mit Hochgenuß beiwohnen zu können. Wir saßen noch am Eingang des Zeltes, und der Scheik lag vor uns. Es war nicht meine Absicht gewesen, so hart mit ihm zu sein; ich mag überhaupt dergleichen Szenen nicht gern leiden; aber er hatte die Hiebe durch die Mißhandlung der Frau verdient und sein nachheriges, besonders sein letztes Verhalten war nicht geeignet, uns zur Milde zu stimmen.
„Hundert Hiebe! Schöne Portion!“ meinte Emery. „Möchte sie nicht haben; danke! Wird er sie
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