38 - Satan und Ischariot II
mußte, wenn er zu den Gewehren wollte. Er fuhr wie vor einem Gespenst zurück.
„Old Shatterhand! Tausend Teufel!“ rief er aus. „Dann ist auch Winnetou da. Hinaus, hinaus, und tu deine Pflicht, denn das ist der Weiße, den du meinst!“
Dieser Zuruf war an die Indianerin gerichtet. Sie wollte schnell fort, aber ich faßte sie und schleuderte sie zurück, so daß sie auf ihr Lager fiel. Zugleich kam der Mimbrenjo herein, um sie festzuhalten; sie versuchte, sich ihm zu entringen, und als ihr das nicht gelang, schrie sie nach der Tür hin wiederholt einige indianische Worte, von denen ich nur zwei verstand, nämlich Ala und Akva; das erstere war wohl ein weiblicher Name, und das letztere bedeutet Messer. Der Ruf galt wahrscheinlich der zweiten alten Indianerin, welche sich mit hier oben befand; dieselbe sollte das ausführen, woran wir die erste hier hinderten; ich konnte aber jetzt nicht auf sie und ihren Zuruf achten, weil ich meine ganze Aufmerksamkeit auf Melton zu richten hatte, der als einzige Waffe, die ihm zu Gebot stand, seinen Schemel ergriffen hatte und, ihn gegen mich schwingend, auf mich eindrang. Einen nicht wiederzugebenden Fluch ausstoßend, wollte er ihn mir auf den Kopf schlagen; ich unterlief ihn aber, hob ihn empor und warf ihn an die Mauer, daß er wie gebrochen zu Boden stauchte. Da antwortete draußen auf dem Gang eine zweite weibliche Stimme. Melton wollte sich aufraffen; ich hatte ihn aber fest beim Hals; er versuchte, mich mit den Knien von sich zu stoßen, was ihm aber nicht gelang. Ich brauchte gegen ihn keine Hilfe, doch kam der Mimbrenjo herbei; er hatte die Alte mit einem tüchtigen Hieb betäubt und wollte mir beistehen. Im Winkel lagen einige Lassos; mit einem derselben band er Melton, während ich diesen festhielt, erst die Beine zusammen und dann auch die Arme um den Leib. Als wir den Kerl nun fest hatten, gebot ich meinem Begleiter:
„Bleib hier! Ich muß hinaus, denn da draußen scheint etwas zu geschehen.“
Eben als ich die Stube verließ, hörte ich vorn beim Göpel die Kette klirren. Meine Laterne erlaubte mir, rasch zu laufen; ich rannte vor. Als ich ankam, stand das zweite alte Weib beim Göpel, von dem die Kette in diesem Augenblick abgelaufen war. Ich sah mit einem schnellen Blick, daß sie nicht direkt, sondern mittels eines starken, zusammengeflochtenen Riemens an die Welle befestigt war. Ehe ich es verhindern konnte, hatte die Alte den Riemen zerschnitten, und die Kette fiel mit schwerem Klirren in den Schacht hinab – niemand war imstande, sie wieder heraufzuholen.
Ich begriff nun die Bedeutung der Worte, welche Melton vorhin gesagt hatte: „Ihr wißt ja, was ihr zu tun habt.“ Die Weiber waren für den Fall, daß die Gefahr der Entdeckung groß erschien und niemand sonst es besorgen konnte, angewiesen, den Göpel schnell ablaufen zu lassen und dann den Riemen zu zerschneiden. Die Leiter führte nur bis zum Göpel; weiter hinab konnte man nur mit dem Förderkasten kommen; lag dieser mitsamt der Kette unten, so war es, wenigstens für lange Zeit, unmöglich, in die Tiefe zu gelangen; die Gefangenen mußten dort verschmachten und konnten später nicht erzählen, wer sie hinuntergebracht hatte. Solch eine teuflische Bosheit hatte ich Melton trotz all seiner Schlechtigkeit doch nicht zugetraut.
Ich schauderte. Wie gut, daß ich den Stollen gefunden hatte! Bei dem Gedanken, daß ohne diesen Ausweg sich die armen Teufel jetzt hilflos da unten befinden würden, überlief es mich kalt. Da sah ich, daß das Weib zur Leiter hinauf wollte; ich riß sie zurück, nahm sie beim Arm und zog die nur wenig Widerstrebende in den Gang hinein und nach der Stube, in welcher Melton lag. Als dieser uns kommen sah, warf er der Alten einen Blick gespannter Besorgnis entgegen und fragte:
„Ist die Kette unten?“
„Ja“, nickte sie grinsend.
Da ließ er ein heiseres Lachen hören und wandte sich in höhnischem Ton gegen mich:
„Der Teufel weiß, wie Ihr hier heraufgekommen seid, Master. Ihr habt mich glücklich überrumpelt; aber Euer Zweck ist doch verfehlt.“
„Welcher Zweck?“ fragte ich, auf seine Absicht, mich zu ärgern, eingehend.
„Ihr kennt ihn noch besser als ich; ich werde mich natürlich hüten, Euch Worte zu sagen, welche später als Beweis gegen mich dienen können.“
„Ich suche die Arbeiter der Hazienda del Arroyo. Wo sind sie?“
„Ich weiß nichts von ihnen. Sucht sie doch nur! Sie sind nach Almadén unterwegs, aber noch nicht angekommen; ich
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