38 - Satan und Ischariot II
wandern konnte. Zu einem längeren Aufenthalt dort hätte es freilich nicht gereicht. Darum fragte ich sofort nach einer Matrosenkneipe. Ich war während der Zeit klüger geworden und hatte verschiedene Male gehört, daß man in solchen Kneipen Gelegenheit bekommen könne, umsonst nach Amerika zu fahren. In der Kneipe, nach welcher ich gewiesen wurde, saßen viele Matrosen. Einer von ihnen machte sich über mich her und fragte mich aus. Ich sagte ihm soviel, wie ich für nötig hielt, und er erklärte mir, daß er mir helfen wolle. Er ließ mir Essen bringen. Dazu tranken wir Nordhäuser, Rum, Arrak, Cognac, Punsch, bis ich den Verstand verlor. Als ich ihn wieder bekam, lag ich in einem engen Loch, kaum größer als ein Hundestall, und es war finster um mich her. Über mir knarrte es; unter mir rauschte Wasser; dazwischen hörte ich eine befehlende Stimme erschallen. Ich tastete um mich, konnte aber keinen Ausgang finden und mußte also liegen bleiben. Es war mir herzlich schlecht zu Mute; mein Kopf brummte wie eine Baßgeige, und meine Glieder waren wie zerschlagen. Nach langer Zeit hörte ich Schritte; ein Riegel wurde zurückgeschoben; dann sah ich vor mir einen Menschen in Matrosentracht, welcher ein Licht in der Hand hatte. Es war der Matrose, mit welchem ich gestern beisammen gewesen war. Er ließ ein rohes Lachen hören und sagte:
‚Heraus mit dir, Landratte! Der Kapitän will dich sehen. Aber rede manierlich mit ihm, und widersprich ihm nicht; er ist kein Guter.‘
Ich kroch mühsam aus dem Loch; es war, wie ich später erfuhr, das Arrestlokal für widerspenstige Matrosen. Ich folgte dem ‚guten Freund‘ zwei sehr schmale und sehr steile Treppen hinauf und sah mich dann auf dem Verdeck eines Schiffes, welches unter vollen Segeln ging. Ringsum war nichts als Wasser zu sehen. Ich wurde nach hinten geführt, wo der Kapitän auf mich wartete. Er hatte sehr weite Hosen an, ein goldbetreßtes Käppi auf dem Kopf und einen gewaltigen Schnurr- und Knebelbart. Er nahm mich bei den Armen, drehte mich einige Male um und um, befühlte meine Muskeln und Knochen, grinste mich dann an wie eine Katze die Maus, die sie verschlingen will, und fragte:
‚Woher bist du?‘
Ich sagte ihm bei dieser und weiteren Fragen ohne Zaudern die Wahrheit, denn bei dem Gesicht, welches der Mann machte, getraute sich kein falsches Wort über meine Lippen.
‚Scheinst ein sauberes Früchtchen zu sein; werden dich aber kurieren. Habe die Absicht, dich als Schiffsjunge mitzunehmen. Dort steht der Maat, dem du zu gehorchen hast. Bei jedem Widerspruch setzt es Prügel. Marsch, fort mit dir!‘
Der Maat, an den er mich wies, war ein Kerl, der noch grimmiger aussah als sein Kapitän. Er nahm mich am Arm, zog mich nach vorn, gab mir einen Topf mit Teer in die Hand und zeigte auf ein Tau, welches außen am Schiff niedergelassen werden sollte. Man mutete mir, der die See noch nie gesehen hatte, zu, da draußen zu hängen und die Außenplanken mit Teer zu bestreichen. Ich weigerte mich, wurde auf ein Brett geschnallt und so lange geprügelt, bis ich nicht mehr schreien konnte. Es ging mir so traurig wie noch nie im Leben, und das ist doch viel gesagt. Wir segelten nach Westindien. Die Fracht wurde aus- und neue eingeladen; ich aber durfte nicht ans Land, durfte auch mit keinem, der von dorther an Bord kam, verkehren. Von da ging es nach Boston, dann nach Marseille, von dort aus zunächst nach Southampton und dann wieder hinüber nach Amerika, diesmal nach New York.“
„Liebster Herr, warum ließen Sie sich das alles gefallen?“
„Weil ich nicht totgeschlagen sein wollte.“
„Pah! Sie haben die Sache nicht verstanden. Auf See allerdings waren Sie dem Kapitän widerstandslos überliefert; in jedem Hafen aber mußten Sie Gelegenheit finden, freizukommen.“
„Auch wenn ich an Bord festgehalten wurde?“
„Auch dann. Es kommen verschiedene Beamte an Deck. Sie brauchten sich nur an einen derselben zu wenden, um Hilfe zu erhalten.“
„Das wagte ich nicht, weil ich ein Ausreißer war. Aber in New York kam ich doch frei. Der Kapitän hatte sich den Haß zweier Matrosen zugezogen, welche klüger waren als ich; die gingen des Nachts heimlich mit der Jolle durch und nahmen mich mit. Die Flucht gelang, und ich betrat als freier Mann Amerika. Zunächst lief ich so weit wie möglich fort, damit mein Kapitän oder einer seiner Häscher mich ja nicht zu sehen bekomme. Am Morgen war Feiertag, an welchen nicht gearbeitet wurde. Ich fand einen
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