38 - Satan und Ischariot II
frei und fiel ihm wie ein Mantel über die Schultern und weit auf den Rücken hinab. Jetzt glaubten sie, daß es der Apache sei. Alle Hände streckten sich ihm entgegen, und als so ein begeisterter Bassist das ‚Dreimal hoch!‘ anstimmte, fielen alle brausend ein.
Wie oft hatte ich Winnetou gebeten, einmal mit mir nach Deutschland zu gehen oder mich dort zu besuchen! Es war stets vergeblich gewesen. Daß er jetzt kam, so ganz unerwartet, mußte einen höchst wichtigen Grund haben. Er sah es mir an, daß ich denselben gern erfahren hätte, schüttelte aber den Kopf und sagte:
„Mein Bruder lasse sich nicht stören. Die Botschaft, welche ich bringe, ist wichtig; aber ist eine Woche und mehr darüber vergangen, so kann auch noch eine Stunde vergehen.“
„Wie aber hast du mich hier finden können?“
„Winnetou ist doch nicht allein. Das junge Bleichgesicht, welches Vogel heißt, ist mitgekommen. Dieser kannte deine Wohnung und führte mich hin. Wir hörten, du seist dorthin gegangen, wo gesungen wird; da wollte ich auch gern singen hören. Später kehren wir in deine Wohnung zurück, und dort werde ich dir sagen, aus welchem Grund ich über das große Wasser gekommen bin.“
„Gut, ich gedulde mich also bis dahin, und du sollst nun deutschen Gesang zu hören bekommen.“
Als die Sänger von dem Wunsch des Apachen hörten, waren sie natürlich gern bereit, denselben zu erfüllen. Wir setzten uns mit Vogel an einen abgelegenen kleinen Tisch und bestellten Bier, welches Winnetou sehr gern, aber auch sehr mäßig trank. Dann begannen die Vorträge, welche nicht anders als Konzert genannt werden mußten. Die Leute waren stolz darauf, sich vor diesem berühmten Mann hören lassen zu dürfen.
Er hielt meine Rechte in der seinigen und ich seine Linke in der meinigen. Ich war ganz glücklich, ihn einmal bei mir in der Heimat zu haben, und er war ebenso glücklich darüber, mir dieses Glück bereiten zu können. Ich glaube, wir haben in den Augen der Zuschauer ein ganz rührendes Paar gebildet. Aber jeder, der uns drüben in der Savanne oder auf dem Gebirge begegnet war, hätte uns heute hier nicht wiedererkannt. Winnetou kam mir wie ein schwarzer Panther im Schafspelz vor, und ihm mochte es mit mir nicht viel anders gehen. Kleider machen auch hier wie überall Leute.
Es war wohl gegen Mitternacht, als der Apache erklärte, daß er nun genug gehört habe. Die eifrigen Notenbrüder hätten ihn noch gern bis morgen früh und auch noch länger unterhalten. Er bedankte sich bei ihnen, und dann gingen wir. Er sagte kein Wort über das, was er gehört hatte, aber da ich seine Eigenart kannte, wußte ich gar wohl, welch einen tiefen und unauslöschbaren Eindruck der deutsche Gesang in seiner Seele zurückgelassen hatte.
Als wir daheim bei mir angekommen waren, sah er sich sehr genau um, betastete jeden Gegenstand und schloß von Zeit zu Zeit die Augen, um sich alles tüchtig einzuprägen. Ich nahm zwei Friedenspfeifen von der Wand, stopfte sie und gab ihm eine. Vogel bekam eine Zigarre. Als ich dann mit dem besten, treuesten und edelsten meiner Freunde rauchend auf dem Sofa saß, sagte er:
„Wir kommen wegen der schönen weißen Squaw, die ich mit dir in San Franzisco besucht habe.“
„Ah, von Martha, Ihrer Schwester?“
„Leider ja!“ antwortete Vogel. „Es ist nichts Erfreuliches, was wir Ihnen von ihr erzählen können. Ich war jetzt vier Monate drüben.“
„Eine kurze Zeit!“
„Ja, aber für mich lang genug. Diese Monate sind mir zu Jahren geworden, denn sie haben mir nichts als die bitterste Täuschung gebracht. Mein Schwager ist bankrott.“
„Ah! Meine Ahnung! Wie steht es mit Potter, dem Kompagnon?“
„Der ist natürlich auch bankrott.“
„Das glaube ich nicht. Er hat Ihren Schwager ausgesogen und wird eine sehr erkleckliche Summe in Sicherheit gebracht haben. Ist der Bankrott etwa als ein betrügerischer anzusehen?“
„Nein. Es verliert kein Mensch einen Pfennig.“
„Niemand hat einen Pfennig verloren und doch ist das Fallissement erklärt worden? Also wurde das große Vermögen in dieser kurzen Zeit vollständig aufgewirtschaftet? Wie war das möglich?“
„Durch falsche Spekulationen, welche Potter gemacht hat. Mein Schwager hatte ihm alle geschäftlichen Bestimmungen allein überlassen.“
„Das war vorauszusehen. Potter schloß sich gleich von vornherein Ihrem Schwager in der Absicht an, ihn geschäftlich zu ruinieren. Wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte das große
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