39 - Satan und Ischariot III
Amerika gekommen war? Eine Spanierin, die deutsche Lieder singt, war mir nicht recht einleuchtend. Es war weit eher denkbar, daß die Sängerin eine Deutsche war, die jetzt, hier in New-Mexiko, einen spanischen Namen trug. Ich sagte das Winnetou, und er war sofort bereit, mit in das Konzert zu gehen.
Es war nur noch eine halbe Stunde bis zum Beginn desselben; wir mußten uns also sputen und gingen hinüber. Der Aufwärter hatte nicht zuviel gesagt, wenigstens was das Publikum betraf. Auch der ‚Saloon‘ war ein Brettergebäude; er hatte einen solchen Umfang, daß wohl sechshundert Menschen sitzen konnten, und doch waren nur noch wenige Stühle frei, welche ganz hinten standen. Wir setzten uns auf zwei derselben.
Schon nach wenigen Minuten waren auch die übrigen besetzt, und die vielen Menschen, welche dann noch kamen, mußten in den Zwischenräumen und Gängen stehen. Es war keine Bühne vorhanden; man hatte ein Podium errichtet, auf welchem ein Flügel stand. Daneben war ein kleiner Raum durch Vorhänge für die Künstler abgesondert.
Als das Zeichen zum Beginn gegeben wurde, traten letztere auf das Podium. Ja, sie waren es, Franz Vogel mit seiner Schwester, der einstigen Punktiererin. Er hatte die Violine in der Hand, und sie setzte sich an das Instrument, ihn zu begleiten. Er spielte ein Bravourstück, und ich hörte, daß er gegen früher ganz bedeutende Fortschritte gemacht hatte. Martha saß so, daß ich sie im Profil sah. Sie hatte sich jetzt vollständig entwickelt und war noch schöner geworden. Der Kummer, die Leiden der letzten Jahre hatten ihr Gesicht durchgeistigt und ihren Zügen einen wehmütigen Ernst aufgeprägt, der mich mit Wehmut erfüllte. Beide zogen sich nach dem ersten Stück zurück.
Die zweite Nummer war für Martha, und Franz begleitete. Sie sang eine spanische Romanze, und zwar so vortrefflich, daß sie dieselbe wiederholen mußte. Sie hatte keinerlei Toilettenkünste angewendet und trug ein langes, schwarzes Kleid, welches hoch und eng am Hals anschloß. Ihr ganzer Schmuck bestand aus einer einzigen Rose im Haar. Die Geschwister teilten sich in das Programm, wechselten einander nach jeder Nummer ab und begleiteten sich gegenseitig.
Martha sang hernach zwei Hochlandslieder, eine spanische Serenade, und dann folgte das prächtige deutsche Lied:
„Ich sah dich nur ein einzig Mal,
Da war's um mich geschehen;
Ich fühlte deiner Augen Strahl
Durch meine Seele gehen.“
Ja, das war deutsche Innigkeit und Gemütstiefe. Solche Lieder kann nur Deutschland haben. Der größte Teil des Publikums verstand kein Wort des Textes, und doch folgte ein Applaus, daß die Gebäude zu zittern schien. Die Sängerin mußte zwei Strophen wiederholen.
Winnetou hatte natürlich Franz Vogel erkannt. Er fragte mich jetzt:
„Will mein Bruder nicht einmal hingehen, um zu fragen, wo sie wohnen? Wir müssen doch mit ihnen reden.“
Er hatte recht. Die Künstler traten heute zum letztenmal auf; vielleicht reisten sie schon morgen ab; ich mußte mit ihnen sprechen. Ich stand also von meinem Stuhl auf, um zu ihnen zu gehen. Dabei mußte ich mich durch die auf dem Gang stehende Menge drängen, was die Augen auf mich zog. Da hörte ich den erschrockenen, halblauten, aber doch vernehmlichen Ausruf:
„All devils! Du, das ist ja Old Shatterhand!“
Ich blickte nach der Stelle, wo die Worte erklungen waren. Da saßen zwei Männer nebeneinander, welche breite Sombreros trugen. Unter den riesigen Krämpen waren nur die dunklen Vollbärte zu sehen, und als sie bemerkten, daß ich hinsah, drehten sie sich auf die Seite. Das fiel mir auf; aber die Nennung meines Namens hatte viele Blicke auf mich gerichtet; das genierte mich, und darum ging ich weiter.
Die Geschwister befanden sich während der Pausen hinter dem Vorhang. Ich blieb vor demselben stehen und fragte deutsch:
„Ist es einem Bekannten erlaubt, Zutritt zu nehmen?“
Da wurde der Vorhang geöffnet; ich trat hinein und stand vor ihnen.
„Wer – wer – was – Sie, Sie sind es?“ fragte Franz, indem er vor Überraschung zwei Schritte zurückwich.
„Herr Doktor!“ schrie Martha auf. Es war mir, als ob sie wankte; ich machte eine Bewegung, sie zu stützen; da faßte sie meine Hände und küßte sie, ehe ich es zu verhindern vermochte, und brach dabei in ein lautes Schluchzen aus. Ich führte sie zum Stuhl, drückte sie sanft auf denselben und sagte zu ihrem Bruder:
„Wie froh bin ich, zu sehen und zu hören, daß Sie sich hier befinden. Ich habe
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