4 Meister-Psychos
er sagt die Wahrheit,
Herr Noralsky.« Sandmanns Blick glitt durch Pauls Brillengläser. »Ich habe mich
an der Tür nicht vorgestellt. War unhöflicher als Sie. Ich bin Hauptkommissar
Sandmann von der Kriminalpolizei. Mordkommission, um genau zu sein. Aber lassen
Sie erst Herrn Holland los.«
Alfred ließ mich los. Er
verstand nichts. Sandmanns Silben fielen gleichmäßig wie die Schläge eines
Metronoms.
»Fräulein Mara ist tot.
Ermordet. Sie wurde höchstwahrscheinlich vor drei Tagen im Bad ihrer Wohnung
erstochen. Dann hat man ihr den Kopf abgetrennt und in einem Paket an ihre
Schwester geschickt. Hierher.«
Alfreds Gesichtshaut bekam die
Farbe von nassem Kalk. Seine riesigen Fäuste wurden knochig und weiß. Seine
dicken Brillengläser beschlugen feucht von innen, die Unschärfe machte ihn
blind. Alfred weinte. Wenn er bluffte, mußte er ein guter Schauspieler sein.
Ich glaubte nicht, daß er je einer gewesen war und daß er Theater spielte.
»Das... das ist... ist das wahr, Tessa?«
»Ja.«
Alfreds Finger lösten sich aus
den Handflächen. Ich sah rote Kerben darin. Er zog sein Taschentuch heraus und
nahm die Brille ab. Niemand sprach, bis er sie wieder aufhatte. Dann tappte er
nach Tessas Hand und murmelte etwas von Beileid. Er hätte es selbst
wahrscheinlich nötiger gehabt in diesem Augenblick.
»Sie haben gestern beim
Hausmeister Sänger nach Fräulein Mara gefragt?«
Alfred war noch nicht ganz bei
sich. Der Kommissar wartete geduldig.
»Wie — ja. Ich wollte wissen,
wo sie ist.«
»Waren Sie verabredet?«
»Nein — das nicht...«
Hatte ich mir gedacht.
»Wann haben Sie sie zuletzt
gesehen?«
»Heute vor vierzehn Tagen«,
sagte Alfred. Er sah noch elender aus bei diesem Satz. Mara hatte ihn nur
herbeigepfiffen, wenn sie ihn brauchte. Das hatte er hinter sich.
Sandmanns Blick fing Tessa ein.
»Fräulein Strong — könnten Sie
das Buch einmal holen?«
»Ich mache es«, sagte ich.
Das rote Buch lag wieder auf
dem Nachttisch neben dem Bett, wo wir zuletzt darin geblättert hatten. Ich ging
zurück, gab es dem Kommissar.
Er drehte den Titel hin zu
Alfred. Die Augen hinter den Gläsern spielten unruhig. »Ist das meins?«
»Wir dachten, es könnte Ihres
sein. Fräulein Tessa hat es von ihrer Schwester. Schon gelesen?«
Alfred nickte mit steifem Hals.
»Natürlich. Paarmal.« Wieder
schien er nichts zu verstehen.
Tessa sagte bösartig: »Es
werden Köpfe abgeschnitten und in Pakete gesteckt.«
Alfred sah sie mit hilflosem
Blick an.
»Ich weiß.«
Er war wirklich einfältig. Ich
sah, daß Tessa ihre Worte schon leid taten.
»Haben Sie das Buch schon öfter
verliehen?«
»Öfter — sehr oft nicht. Hin
und wieder mal...« Alfred verstand plötzlich. Er wurde kleiner, und die Haut
zwischen den Pickeln rötete sich. Seine Fäuste wurden wieder rund und kantig.
Ein Boxer vor dem Angriff. »Glauben Sie, daß ich das gewesen bin, Sie? Ich? Ich
wollte Mara heiraten! Heiraten!« Er verschluckte seine Stimme.
Sandmann sah hart und kalt
durch Alfreds Brillengläser. »Ach! Sie wollte wohl nicht, wie? Außerdem gibt es
eine Menge Leute, die ihre Frauen sogar nach der Hochzeit umgebracht haben.«
»Das ist was anderes«, sagte
ich, aber niemand lachte.
Sandmanns Hand tastete über
Alfreds Arm wie vorhin. »Sie haben genug Kraft, um jemandem den Kopf
abzuschneiden.«
Alfred rührte sich nicht. Sein
Mund öffnete sich etwas. In meinem Gehirn entstand ein Bild. Alfred auf der
Falltür des Galgens. Welcher Strick sollte das aushalten.
Der Kommissar nahm seine Hand
zurück. Tessas Körper war gespannt wie eine stählerne Feder.
»Aber etwas anderes stört mich.
Können Sie die Finger ausstrecken?«
Alfreds Fäuste zitterten. Ein
anderer hätte nicht so reden können mit ihm. Ein paar kleine Schweißtropfen
waren an seinem Haaransatz erschienen.
»Na los«, sagte Sandmann.
Alfreds Pranken öffneten sich.
Seine Finger waren flach und breit und lang. Lebende Schraubstöcke.
»Hm«, machte Sandmann. Er hob
mit seinem Mittelfinger einen von Alfreds Fingern an. »Fräulein Tessa — haben
Sie eine Schreibmaschine?«
»Ja«, antwortete Tessa. »Da
steht sie. Reiseschreibmaschine.« Sie machte mit. Der Mann tat was für ihre
Schwester.
»Leihen Sie sie uns einen
Moment? Und ein Blatt Papier.«
Tessa hob das zierliche Ding
auf den Tisch. Sie spannte das Blatt ein. So war es bei Mara gewesen vor
anderthalb Stunden. Diesmal war Alfred dran.
»Würden Sie mir was schreiben,
Herr Noralsky? Nur ein
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