4 - Wächter der Ewigkeit
als er auf meinem Gesicht keinen angewiderten
Ausdruck entdeckte, fuhr er fort: »Das ist das ganze Geheimnis! Im Innern bildet sich eine Kruste aus Taninen, ätherischen Ölen und Flavonoiden …«
»Enthält Tee wirklich Flavonoide?«, fragte ich verdutzt. Ich hängte mir die Tasche wieder über die Schulter. Beinah hätte ich sie vergessen. Bei der Unterwäsche wäre das kein Problem gewesen – aber in der Tasche befanden sich ein Satz von Geser ausgewählter Kampfamulette und fünf dicke Dollarbündel!
»Vielleicht verwechsel ich da was …«, gab Alischer zu. »Auf alle Fälle steckt das Geheimnis in dieser Kruste. Sie erlaubt es, den Tee in einem Körper aus Tee zu kochen …«
Es war uns schon zur Gewohnheit geworden, Afandi an den Ellbogen zu fassen und so ins Zwielicht einzutreten. Der listige Alte leistete keinen Widerstand, im Gegenteil: Er hob die Beine und hing zwischen uns, garstig kichernd und schreiend: »Aber! Aber!« Falls Afandi Gesers Erinnerungen zum Trotz doch Rustam sein sollte, ging mir durch den Kopf, konnte mir sein Alter gestohlen bleiben. Dann würde er von mir Russisch vom Feinsten zu hören bekommen, dass sich ihm die Ohren aufrollten.
Fünf
Ehrlich gesagt, hätte ich einen UAS oder einen Niwa bevorzugt. Nicht aus patriotischen Gründen, sondern weil der Toyota-Jeep in Usbekistan nicht unbedingt verbreitet ist. Und wollten wir ihn mit Magie tarnen, könnten wir auch gleich über unseren Köpfen eine Fahne schwenken und rufen: »Hoppla! Hier kommen wir!«
Aber Afandi hatte voller Überzeugung behauptet, wir müssten uns auf eine schlechte Straße gefasst machen. Eine sehr schlechte. Der einzige Niwa, den wir in der Nähe der Teestube ausfindig gemacht hatten, war in einem derart miserablen Zustand, dass es eine Schande und Dummheit gewesen wäre, den alten Kasten dem Spott auszusetzen.
Der Toyota war neu und – wie in Asien üblich – mit allen Finessen ausgestattet. Wer sich einen so teuren Wagen leisten kann, möchte eben alles dabeihaben! Einen Sportauspuff, einen Fahrradträger (natürlich war der dickleibige Besitzer seit seiner Kindheit nicht mehr mit dem Rad gefahren), einen CD-Changer, eine Anhängerkupplung und Spoiler – kurzum all das herrliche Blendwerk, das sich die Hersteller ausdenken, um den Preis auf das Anderthalbfache des Normalen hochzuschrauben.
Dem Autohalter gehörte offenbar auch der hiesige Markt. Er sah wie ein gewöhnlicher usbekischer Landbesitzer aus, wie ein Bai, wie man sie noch aus alten Zeichentrickfilmen und Karikaturen kennt – womit er der Realität genauso entsprach wie der fette Kapitalist mit der obligatorischen Zigarre im Mund. Vermutlich bestand die Ironie des Schicksals gerade darin, dass dieser nicht mehr ganz junge Mann all seine Vorstellungen vom Aussehen eines reichen Menschen aus Zeichentrickfilmen für Kinder und populären europäischen Zeitschriften schöpfte. Er war dick. Seinen Kopf zierte eine mit Goldfäden bestickte Tjubetejka. Dazu trug er einen sehr teuren Anzug, der ihm ohne Frage zu eng war. Und eine nicht minder teure Krawatte, die zweifelsohne bereits mehrfach mit fettigem Essen Bekanntschaft geschlossen hatte, wonach sie – man weiß sich schließlich zu helfen – in der Maschine gewaschen worden war. Dann noch spiegelblank geputzte Schuhe, die für die staubige Straße völlig unangemessen waren. Goldringe mit gewaltigen synthetischen Steinen, die Juwelierhändler bissig als Dummaline bezeichnen. Die Kappe sollte die Nähe zum Volk symbolisieren, der Rest europäischen Glanz verleihen. Die Hand umklammerte ein teures Handy, das sich bei einem jungen reichen Taugenichts freilich besser ausgenommen hätte als bei einem soliden Geschäftsmann.
»Würde dieses Auto gehen?«, fragte ich Afandi.
»Ein guter Wagen«, bestätigte Afandi.
Noch einmal sah ich mich um. Andere waren keine in der Nähe. Weder feindlich gesonnene noch Partner oder solche, die inmitten der Menschen lebten. Sehr zufriedenstellend.
Als ich aus dem Zwielicht trat, schaute ich dem Besitzer des Geländewagens aufs Gesicht. Anschließend berührte ich ihn leicht mit meiner Kraft. Und wartete, bis er sich mir, die dichten Brauen verständnislos runzelnd, zudrehte. Lächelnd sandte ich zwei Zauber in seine Richtung, deren genaue Bezeichnung ausgesprochen kompliziert war, weshalb wir sie normalerweise »Ewig nicht gesehen« und »Alte Freundschaft rostet nicht« nannten.
Auf dem Gesicht des Bais von heute erstrahlte daraufhin ein Lächeln.
Die
Weitere Kostenlose Bücher