4 - Wächter der Ewigkeit
dicken gezwirbelten Faden erinnerte.
Natürlich bringen Hühnergötter eigentlich kein Glück, was Kinder jedoch nicht daran hindert, sie voller Eifer am Strand zu suchen, eine Schnur durch das Loch zu ziehen und sie sich umzuhängen. Dieser Stein trug einen komplizierten Zauber in sich, der teilweise an die Dominante erinnerte. Ob er mir auch im Gespräch mit Rustam helfen sollte? Nachdem ich hin und her überlegt hatte, hängte ich mir die Kette um den Hals. Schaden würde es sicherlich nicht …
Nun musste ich noch die Ringe und Stäbe verteilen. Dafür brauchte ich nicht groß rumzurätseln. Ich schubste Afandi an und bat ihn, die Ringe anzulegen. Begeistert rief Afandi: »Ach!«, streifte sich die Ringe auf die linke Hand, besah sie verzückt – und döste wieder ein.
Die Stäbe gab ich Alischer, der sie wortlos in die Brusttasche seines Hemds steckte. Wie exotische Füllfederhalter von Parker oder Montblanc lugten sie daraus hervor, äußerlich mindestens genauso elegant und fast genauso todbringend. Fast, denn durch das Gekritzel einer Cheffeder starben letzten
Endes weitaus mehr Menschen als durch alle Kampfstäbe zusammen.
»Ich schlaf ein wenig«, sagte ich zu Alischer.
Einen ausgedehnten Moment lang schwieg Alischer. Der Jeep kroch langsam über den steinigen Bergpfad dahin, was uns häufiger an eine Eselstour erinnerte als an eine ruhige Fahrt auf vier Rädern. Die Scheinwerfer irrten von links nach rechts und von rechts nach links, erfassten mal eine dunkle Schlucht, auf deren Grund ein Fluss rauschte, mal einen steilen Felsabhang.
»Mach das«, erwiderte Alischer. »Guck dir nur vorher noch die Wahrscheinlichkeitslinien an. Die Straße ist hundsmiserabel.«
»Ich würde es nicht mal wagen, sie Straße zu nennen«, pflichtete ich ihm bei. Dann schloss ich die Augen und sah ins Zwielicht. In die nahe Zukunft, in die die verschlungenen, verwobenen Wahrscheinlichkeitslinien führten.
Das Bild, das sich mir bot, gefiel mir nicht. Zu viele Linien, die abrupt abrissen und auf dem Grund der Schlucht endeten.
»Halt an, Alischer. Du bist zu ausgelaugt, um in der Dunkelheit durch die Berge zu fahren. Wir warten bis morgen früh.«
»Nein.« Alischer schüttelte trotzig den Kopf. »Ich spüre, dass wir uns beeilen müssen.«
Da ich das ebenfalls spürte, widersprach ich nicht. »Dann lass mich ans Steuer, ja?«, schlug ich vor.
»Ich glaube nicht, dass du wacher bist. Schüttel mich ein bisschen, Anton.«
Ich seufzte. Mit Hilfe von Magie Müdigkeit und Schlaf zu vertreiben, die Sinne zu schärfen – das ist nicht mein Ding. Und zwar nicht wegen der negativen Konsequenzen, denn die gibt es nicht. Man braucht sich danach nur einmal ordentlich auszuschlafen, und alles ist wieder in Ordnung. Was mich störte: Du gibst deine normale Wahrnehmung ziemlich bald auf und fängst an, nur noch mit magischer Energie zu funktionieren. Die ganze Zeit bist du munter und frisch, als leidest du an manischer Depression in der manischen Phase. Alles gelingt dir, bei jeder Feier und Party bist du ein gern gesehener Gast, bei jedem Spaß dabei. Früher oder später gewöhnst du dich jedoch daran, willst immer noch aktiver sein, noch scharfsinniger, noch energiegeladener. Daraufhin erhöhst du die Kraftdosis, stimulierst deine Nerven. Und so geht es weiter und weiter, bis du irgendwann merkst, dass die gesamte Kraft, die du verarbeiten kannst, für deine künstliche Munterkeit drauf -geht. Dann damit aufzuhören ist einfach grauenvoll.
Die magische Abhängigkeit unterscheidet sich durch nichts von der normalen. Freilich leiden ausschließlich Andere unter ihr.
»Schüttel mich«, bat Alischer. Er hielt an, zog die Handbremse, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Ich legte ihm eine Hand aufs Gesicht, eine in den kurz rasierten Nacken und konzentrierte mich. Stellte mir vor, wie ein Kraftstrom durch meinen Körper lief, nach und nach aus meinen Händen austrat und in Alischers Kopf sickerte. Wie ein kaltes Feuer über seine Nerven schoss, funkensprühend über die Synapsen sprang, jedes Neuron rüttelte … Spezielle Zauber sind hier nicht nötig, das Ganze basiert auf reiner Kraft. Alles hängt davon ab, wie plastisch man sich den physiologischen Prozess vorstellt.
»Das reicht«, sagte Alischer in frischerem Ton. »Wunderbar! Jetzt noch was zu essen …«
»Kommt sofort.« Ich beugte mich über den Sitz, um in den Laderaum zu gelangen. Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Dort standen zwei
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