4 - Wächter der Ewigkeit
spielte, Märchen und Science Fiction las, später Biologie studieren wollte, um die Natur des Vampirismus zu erforschen und den Vampiren beizubringen, wie sie ohne menschliches Blut auskämen.
Aber Alischer würde mich nicht verstehen. Er war durch und durch Wächter. Durch und durch Lichter. Ich dagegen versuchte, sogar die Dunklen zu verstehen. Sogar die Vampire. Sie zu verstehen und ihnen zu verzeihen. Oder sie wenigstens zu verstehen. Oder ihnen wenigstens zu verzeihen. Letzteres ist am schwersten. Mitunter ist Verzeihen überhaupt am schwersten.
In meiner Tasche plärrte das Handy los. Ich holte es heraus. Aha. Ein gleichmäßiges graues Leuchten.
»Hallo, Edgar«, begrüßte ich ihn.
»Kann dein Handy etwa meine Nummer erkennen?«, fragte er nach einer kurzen Pause.
»Nein, ich habe es erraten.«
»Du bist stark«, befand Edgar in seltsamem Tonfall. »Ich bin bereits seit einer Stunde in Samarkand, Anton. Wo seid ihr?«
»Wer, wir?«
»Du, Alischer und Afandi.« Der Inquisitor hatte die letzte Stunde nicht mit Müßiggang zugebracht. »Eine schöne Sache habt ihr da angerichtet …«
»Wir?«, empörte ich mich.
»Na ja, nicht ihr«, zeigte sich Edgar verständnisvoll. »Obwohl: ihr auch. Weshalb habt ihr das Auto des Marktdirektors beschlagnahmt?«
»Wir haben es nicht beschlagnahmt, sondern gekauft. Gemäß den Punkten über die mögliche Konfiszierung von Transportmitteln in Ausnahmesituationen. Soll ich dir die entsprechenden Paragrafen vortragen?«
»Ist ja gut, Anton«, versicherte Edgar schnell. »Niemand klagt euch an. Aber die Situation ist in der Tat nicht gerade rosig. Um sie zu verschleiern, mussten wir eine Geschichte von der Zerschlagung einer großen Terroristenbande in Umlauf bringen. Und wie du weißt, schätzen wir es nicht sehr, unsere … unsere eigenen Unzulänglichkeiten mit Verbrechen der Menschen zu bemänteln.«
»Ich verstehe dich ja, Edgar«, versicherte ich. »Aber worum geht es eigentlich? Ich muss persönlich mit einem Anderen sprechen, der nicht bei den Wachen im Dienste steht. Ich bin inoffiziell hierhergekommen und habe das Recht, mich ungehindert im Land zu bewegen.«
»Nur in einer Ausnahmesituation und mit Kenntnis sowie unter der Kontrolle der Wachen«, korrigierte Edgar mich.
»Afandi fährt ja mit uns.«
Edgar seufzte. Mir kam es so vor, als flüstere ihm jemand aus dem Hintergrund rasch etwas zu.
»Gut, Anton. Kläre deine persönlichen Angelegenheiten … mit denen sich die Inquisition dann später auseinandersetzen wird. Es ist nur nicht sehr ratsam, nachts durch die Berge zu fahren und womöglich in einer Schlucht zu landen.«
Ehrlich gesagt, rührte mich seine Sorge sogar.
»Schon gut«, beruhigte ich ihn. »Wir schlafen uns erst mal bis morgen früh aus.«
»Gut, Anton.« Edgar schwieg kurz, dann fuhr er irgendwie verlegen fort: »Es war schön mit dir zu reden … trotz der Umstände.«
Ich steckte das Handy weg. »Ein merkwürdiger Kerl, dieser Edgar«, sagte ich zu Alischer. »Schon als Dunkler war er merkwürdig. Als er dann Inquisitor geworden ist, war es ganz aus.«
»Meiner Ansicht landest du früher oder später auch bei der Inquisition«, meinte Alischer völlig nebenbei.
Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. »Nein«, widersprach ich kopfschüttelnd. »Daraus wird nichts. Ich habe eine Frau und eine Tochter, die Hohe Andere sind. Jemanden wie mich nehmen die nicht.«
»Worüber ich nicht gerade traurig bin«, sagte Alischer ernst. »Was ist? Fahren wir?«
In diesem Moment erbebten die Berge. Erst schwächer, als teste man die Felsen auf ihre Standhaftigkeit. Dann stärker und stärker.
»Ein Erdbeben!«, kreischte Afandi, der prompt erwachte. »Aus dem Wagen!«
Na also! Wenn er wollte, konnte er sogar ausgesprochen vernünftig sein. Wir sprangen aus dem Jeep, rannten den Pfad ein Stück hinauf und blieben wie erstarrt stehen. Die Berge bebten. Von den Hängen rasselten kleine Steine herab. Alischer und ich wirkten, ohne uns auch nur abzusprechen, eine gemeine Schutzkuppel. Afandi leistete ebenfalls seinen Beitrag. Er schirmte die Augen mit der Hand ab und spähte auf der Suche nach unbekannten Gefahren durch die Nacht.
Und machte tatsächlich etwas aus.
»Seht! Dort!«, schrie er, während er auf der Stelle sprang und die Hand ausstreckte. »Dort! Dort!«
Wir drehten uns um, wobei wir nach wie vor den Schild über uns hielten, von dem die Steine krachend abprasselten. Wir folgten Afandis Blick. Verstärkten die
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