4 - Wächter der Ewigkeit
den Schild des Magiers, wenn sie einen angreifenden Vampir sehen, sondern kämpfen bis zur Niederlage. Eine schlichte Graue Messe hätte es ihm erlaubt, den Vampir zu stoppen, ihn aufzuhalten – zumindest fürs Erste. Die Schüler hätten sich in Sicherheit bringen, der Lehrer sich sammeln und einen ausreichenden Schutz aufbauen können.
Doch hinterher ist man immer schlauer. Außerdem brachte es rein gar nicht, dem Jungen zu erklären, dass sein erster Lehrer gut und nett, aber in keiner Weise auf einen richtigen Einsatz vorbereitet gewesen war. Denn das war die Krux: Lehrer sind nur selten echte, kampferprobte Magier. Zumeist sind es schöngeistige Theoretiker …
»Brauchst du mich noch, Garik?«, fragte ich. Neben Garik und dem Oberst drückte sich jetzt ein unbekannter Dunkler herum. Was zu erwarten gewesen war. Die Tagwache würde es sich nicht nehmen lassen, vor Ort zu erscheinen, sie würde jegliche Verantwortung von sich weisen und sich – falls Letzteres nicht gelingen sollte – nach unseren Verlusten erkundigen. Garik schüttelte den Kopf, worauf ich mich, den Dunklen ignorierend, gemächlich zu meinem Auto begab, das ich direkt unter einem »Parken verboten«-Schild abgestellt hatte. Den Anti-Klau-Zauber benutzten alle Anderen. Ihn jedoch so einzusetzen, dass dich zwar alle im Verkehr sehen, du aber trotzdem im Halteverbot parken kannst, verlangt ein gewisses Geschick.
Dass der Junge die Aura des Vampirs aufgenommen hatte, konnte als Erfolg gewertet werden. In solchen Situationen verlieren auch erwachsene, erfahrene Magier mitunter den Kopf. Der Junge hatte sich bravourös geschlagen. Jetzt juckte es mir natürlich in den Fingern, so schnell wie möglich ins Büro zu kommen und den Aurenabdruck dem Diensthabenden zur Fahndung zu übermitteln. Sollten ruhig alle, die auf Patrouille gingen, den Blutsauger suchen. Einen Hohen, nicht registrierten … Nein, auf diesen Zufall durfte ich nicht hoffen.
Aber er war ein Hoher!
Meine eitlen Hoffnungen abschüttelnd, setzte ich mich hinters Steuer und fuhr zum Büro. Für die Patrouillen war heute Pawel zuständig. Ich warf ihm den Abdruck der Aura zu, den er mit Begeisterung auffing. Es ist immer angenehm, wenn man den Anderen auf Streife etwas Ordentliches an die Hand geben kann, statt sie mit so zweifelhaften Informationen zu versorgen wie: »Am Tschistoprudny-Boulevard hat ein Hoher Vampir zwei Lichte angegriffen … Wie er aussieht? Also, ein Mann in mittleren Jahren …«
In meinem Arbeitszimmer setzte ich mich sofort an den Computer. Eine Minute lang starrte ich auf den Bildschirm. »Mist verflixter …«, brummte ich.
Dennoch startete ich das Programm zum Abgleich von Auren. Die Schwierigkeit bei der Identifikation einer Aura besteht darin, dass ihre Abdrücke nicht wie Fingerabdrücke digitalisiert werden können. Aurenabdrücke kann man von »Kopf zu Kopf«, weitergeben, aber nicht von Kopf zu Computer – solche Rechner gibt es einfach nicht. Um eine Aura dennoch in eine Datenbank aufzunehmen, haben wir den angejahrten Maler Leopold Surikow eingestellt. Trotz des klangvollen Familiennamens hatte er als Künstler nur mäßigen Erfolg. Als Anderer war er ebenfalls recht schwach. Immerhin konnte er jedoch Aurenabdrücke empfangen und sie dann in geduldiger, nervtötender Arbeit im Stil der chinesischen oder japanischen Miniaturen zu einem versponnen Ornament umzeichnen. Dieses Bild konnte wiederum digitalisiert, damit archiviert und zum Vergleich herangezogen werden. So arbeiten alle Wachen, die es sich leisten können, einen Kunstmaler einzustellen.
Eine penible und langwierige Arbeit. An einer höchst schlichten Aura saß man zwei Tage.
Falls es die Aura in unserem Archiv geben sollte, kam ich jedoch auf indirektem Weg an sie heran. Ebendas hatte ich vor. Wenn auch nur zur Beruhigung meines Gewissens: Wie sollten wir die Aura eines nicht registrierten Vampirs archiviert haben?
Auf dem Bildschirm baute sich eine Tabelle auf. Permanent auf den in meinem Gedächtnis abgespeicherten Abdruck zurückgreifend, trug ich nun mit entsprechenden Mausklicks Plus- und Minuszeichen in die Tabelle ein.
»Gibt es einen oberen Bogen?«
Nein, natürlich nicht. Woher sollte ein Vampir bitte schön einen oberen Bogen in der Aura haben?
Damit schrumpfte die Zahl der registrierten Auren sofort um ein Fünftel. Wir führten weitaus weniger Untote im Archiv als sonstige Andere. Es verschwand auch eine Reihe von Zeilen, die Tabelle wurde kleiner, konzentrierte sich
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