4 - Wächter der Ewigkeit
jetzt schlafen.«
»Noch ein Märchen!«, verlangte Nadja.
»Daraus wird heute nichts. Papa und ich müssen etwas besprechen.«
Beleidigt starrte Nadja mich an, wobei sie an der dünnen Schnur mit den Türkisperlen zerrte, die ihr um den Hals hing. »Immer habt ihr was zu besprechen …«, brummelte sie. »Und immer fährt Papa weg.«
»Das liegt an Papas Arbeit«, erklärte Swetlana ruhig und nahm unsere Tochter auf den Arm. »Du weißt doch, dass er gegen die dunklen Kräfte kämpft.«
»Wie Harry Potter«, meinte Nadja mit leichtem Zweifel in der Stimme, während sie mich musterte. Ohne Brille und Narbe auf der Stirn hatte ich vermutlich keine Chance, dem hohen Vorbild gerecht zu werden.
»Ja, wie Harry Potter, Făt-Frumos und Luke Skywalker.«
»Wie Skywalker«, entschied Nadja und lächelte mich an. Dieser Figur schien ich in ihren Augen am ehesten zu entsprechen. Immerhin etwas.
»Ich bin gleich wieder da …« Swetlana verschwand mit Nadja im Kinderzimmer. Ich saß da, und mein Blick hakte sich an einem angebissenen Stück Konfekt fest. Schichtkonfekt, dunkle und weiße Schokolade wechselten sich ab. Ich zählte sieben Schichten und musste lachen. Was für ein originelles Beispiel, um die Struktur des Zwielichts zu veranschaulichen. Der Weiße Höhenrauch faltete alle Schichten zusammen und verwandelte diejenigen, die er traf, in Stein. Gut, lassen wir den Kampfaspekt des Zaubers einmal beiseite. Was geschah danach? Ich schloss die Augen und erinnerte mich.
Danach glättete sich das Zwielicht wieder. Alle Zwielicht-Schichten kehrten an ihren Platz zurück.
Wieso glaubten wir eigentlich, der Kranz der Schöpfung vereine das Zwielicht und die reale Welt für immer? Hörten wir das aus Rustams Worten heraus? Woher hätte er es aber wissen sollen … Das Zwielicht schloss sich zusammen und entfaltete sich wieder. Die aus unserer Welt austretende Kraft trennte die Schichten abermals. Das war wie bei einer Sprungfeder: Man kann sie zusammendrücken, doch sie schnellt immer wieder in die Höhe.
Damit kam ich der Sache schon näher. An einen Merlin, der um seines Vergnügens willen eine magische Bombe zur Vernichtung der ganzen Welt schuf, wollte ich einfach nicht glauben. So ein Anderer war er nicht. Aber an Merlin den Experimentierfreudigen, der sich einen Spaß ausdachte, ohne ihn dann auszuprobieren – den konnte ich mir ohne Weiteres vorstellen.
Was konnte passieren, wenn es zu einer kurzzeitigen Vereinigung aller Zwielicht-Schichten mit der realen Welt kam?
Stürben die Anderen dann aus?
Kaum.
Dann hätte Merlin seine Macht lauthals gepriesen.
Er hatte sich jedoch eine versteckte Botschaft einfallen lassen …
Halblaut sagte ich den Spruch auf, wobei ich die leise in die Küche zurückkehrende Swetlana anschaute.
Der Kranz der Schöpfung liegt verborgen hier.
Ein Schritt nur bleibt.
Doch erben solln ihn nur die Starken und die Klugen.
Alles erhältst du und nichts, bringst du ihn an dich.
So geh voran, wenn du stark bist wie ich;
Wenn du klug bist wie ich, weich zurück.
Anfang und Ende, Kopf und Schwanz, alles ist eins im
Kranz der Schöpfung.
So sind Leben und Tod nicht zu trennen. »Versuchst du, es zu begreifen?« Swetlana setzte sich neben mich. »Weißt du, ich habe mich gefragt, warum wir eigentlich davon ausgehen, das Zwielicht zöge sich für immer zusammen. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass es auch eine Gegenbewegung gibt.«
»Das habe ich mir auch gerade überlegt«, stimmte ich ihr zu. »Wie mit dem Weißen Höhenrauch. Aber was bedeutet das? Dass das blaue Moos plötzlich auch in unserer Welt wächst?«
»Das würde die Botaniker freuen!«, meinte Swetlana lachend. »Eine neue Pflanzenform! Noch dazu eine, die auf menschliche Emotionen reagiert. Eine Million Dissertationen würden darüber geschrieben werden …«
»Es würden Fabriken zur Verarbeitung des blauen Mooses entstehen«, malte ich mir aus. »Man würde Garn daraus spinnen, Jeans nähen …«
Mit einem Mal wurde Swetlana ernst. »Und was passiert mit denen, die im Zwielicht leben?«
»Mit den Anderen, die sich dematerialisiert haben?«, hakte ich nach.
Swetlana nickte.
»Leben und Tod.« Ich nickte. »Keine Ahnung. Glaubst du, dass sie … auferstehen können? Wieder in unserer Welt leben würden?«
»Warum eigentlich nicht? Wir wissen schließlich, dass sie noch leben. In der fünften Schicht habe ich sogar einen gesehen, als ich mit Arina gekämpft habe …«
»Davon hast du mir nie etwas
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