4 - Wächter der Ewigkeit
kennen wir jetzt seine physische Erscheinung: jung, rotblond … so viele Hohe Andere gibt es ja nun nicht auf der Welt.«
»Den Umhang hat er sich wahrscheinlich hier besorgt«, vermutete ich. »Und die falschen Zähne. Als er gehört hat, wie ich mich näherte, ist er nicht geflohen, sondern mir in aller Ruhe entgegengekommen … und hat sich prompt eine passende Legende ausgedacht.«
»Ich kann mir sogar vorstellen, wofür er den Umhang brauchte«, stellte Foma düster fest, während er auf den blutbespritzten Boden blickte. »Er muss sich beschmiert haben … Gib mir sein Bild, Anton.«
Mit geschlossenen Augen versuchte ich, mich so genau wie möglich an den Franzosen zu erinnern. Dann warf ich das Bild in Gedanken Lermont zu.
»Hm«, sagte der Schotte. »Gut. Das überprüfe ich in unserem Bildarchiv.«
»Ob wir die Inquisition informieren sollten?«, fragte ich.
»Nein.« Lermont schüttelte den Kopf. »Noch ist das nicht nötig. Diese Ereignisse sprengen noch nicht den Rahmen eines normalen Verbrechens, das ein einziger Dunkler begangen hat.
Die Edinburgher Tagwache wird keinen Protest einlegen. Versuchen wir ohne die Inquisition auszukommen, Anton. Zumindest so lange wie möglich.«
Ich widersprach nicht. Es ist kein sonderliches Vergnügen, die Inquisition um Hilfe zu bitten.
»Brauchen Sie meine Hilfe noch?«
»Nein. Geh dich ausschlafen«, forderte Lermont mich auf. »Die Polizei werden wir nicht einschalten, die Ermittlungen liegen jetzt ganz und gar bei uns. Meine Mitarbeiter werden versuchen, Spuren festzustellen, ich werde die Hohen überprüfen.«
Ächzend beugte Lermont sich über den abgeschlagenen Kopf, als hoffe er, irgendwelche Hinweise zu entdecken, die der unvorsichtige Verbrecher hinterlassen hatte. Er sollte mal etwas gegen seinen Bierbauch unternehmen …
»Foma«, rief ich ihn leise. »Foma, was gibt es hier, in Schottlands Verliesen?«
»Wie?« Er drehte sich nicht einmal um.
»Was suchen die Dunklen hier?«
»Das ist eine Touristenattraktion, Mister Gorodezki«, gab Foma kalt zurück. »Eine Attraktion, mehr nicht.«
»Ist ja schon gut«, meinte ich, bevor ich ging. Für den Mörder hätte keine Notwendigkeit bestanden, an den Tatort zurückzukommen. Wenn er einen Hinweis hinterlassen hätte, wäre er bereits entdeckt worden, sei er nun normaler oder magischer Art.
Doch er war zurückgekommen und hatte erneut getötet. Um die Nachtwache weiter aufzubringen? Quatsch. Um den Verdacht auf Lermont zu lenken? Noch größerer Mist.
Also hatte er beim ersten Mal etwas ganz Bestimmtes nicht tun, nicht vollbringen können. Weshalb er hatte wieder hierherkommen müssen.
Was konnte Lermont verstecken? An diesem nicht gerade durchschnittlichen Ort. An dem zum Beispiel kein blaues Moos wuchs. Das stellte eine außergewöhnliche Anomalie dar. Die Struktur des Zwielichts ist nicht homogen. So gibt es beispielsweise Orte, an denen es schwieriger ist, es zu betreten, und solche, an denen es einfacher ist. Ich hatte auch von Zonen gehört, an denen der Zugang ins Zwielicht gänzlich unmöglich sein sollte. Aber das blaue Moos, dieser Parasit, gedeiht überall …
Nachdem ich mich etwa hundert Meter von der Brücke entfernt hatte, blickte ich durchs Zwielicht.
Aha.
Dort, wo ich stand, wilderte das Moos nur so. An den Pubs und Cafes bildete es ganze Girlanden. An den Wohnhäusern kroch es dichter hoch als an den Büros und Geschäften. An den Kreuzungen, an denen die Autofahrer nervös wurden, spross ebenfalls mehr Moos.
Alles völlig normal.
Zur Brücke hin, in der Nähe des Eingangs zu den Verliesen, wurde das blaue Moos sogar immer dichter und dichter! Es drängte dorthin, was mich nicht verwunderte. Immer mehr und mehr Moos – und dann vertrocknete es plötzlich zehn Meter vor der Tür, als sei es gegen eine unsichtbare Barriere gestoßen.
Seltsam. Wenn es dort irgendeinen für das Moos schädlichen Faktor gegeben hätte, würde es nach und nach spärlicher wachsen. Doch diese Erklärung dürfte wohl kaum zutreffen …
Ich streckte die Hand nach einer in der Nähe wuchernden Mooskolonie aus, einem plüschigen blauen Fleck auf dem Asphalt. »Brenne!«, befahl ich.
Die Kraft strömte durch mich hindurch, doch noch hielt ich sie zurück. Damit das Moos nicht sofort entflammte. Sondern sich blähte, bauschte und versuchte, die Gratisenergie umzuwandeln. Dann schwoll die Kraft an, und das Moos unterlag. Es ergraute, verdorrte … und verbrannte schließlich.
Jetzt sah ich es.
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