4 - Wächter der Ewigkeit
sowohl das Licht als auch das Dunkel lieben. Ein Mensch wie auch ein Anderer, die am Scheideweg stehen, machen keinen Unterschied zwischen der Kraft des Lichts und der des Dunkels. Solche Anderen gibt es, wenn auch selten. In Moskau sind es zwei: Viktors Vater und … dein junger Freund Jegor. Aber der ist jetzt schon ein richtiger Mann, oder?«
»Warum ist Rohosa aus der Ukraine gekommen?«
»Weil nicht wir entscheiden, wer Spiegel wird. Ich habe auf seine Ankunft gehofft, aber vorab weiß niemand etwas davon. Ein Spiegel kann kommen – oder auch nicht. Er kann gleich auftauchen oder erst Tage oder sogar Monate später an dem Ort eintreffen, an dem das Gleichgewicht gestört worden ist. Habe ich deine Neugier befriedigt?«
»Ja.«
»Dann erwarte ich im Gegenzug dieselbe Freundlichkeit. Wer hat Viktor ermordet? Und was hat ein Spiegelmagier damit zu tun?«
»Diese Information wird Sie nicht gerade glücklich machen, Sebulon. Ich glaube, dass Viktor in der Absicht ermordet worden ist, die schottische Nachtwache zu diskreditieren. Die Einrichtung gehört nämlich ihr. Und was den Spiegel angeht … ich fürchte, es kann hier zu einer Destabilisierung der Lage kommen. Und zwar in einem Maße, die die Ankunft eines Spiegels nötig macht. Gibt es in Edinburgh Kandidaten für diese Rolle?«
Er glaubte mir. Offenbar glaubte er mir.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er gedankenverloren. »Das hat mich nie interessiert.«
»Das war’s dann. Wenn Sie etwas herausbekommen, seien Sie doch so freundlich und lassen es mich wissen.«
Ohne sein Gelächter abzuwarten, öffnete ich meine Hand und beendete somit die Verbindung. Die Figur glänzte schweißig, was sie fast lebendig wirken ließ.
Das war’s, Zeit ins Hotel zu gehen. In die gemütliche Luxussuite für Lichte, in das Königreich von Weiß, Rosa und Beige, zu den Spitzenvorhängen und der Seidenbettwäsche.
In dem Moment klimperte das Handy fordernd los.
»Ja?« Ich presste das Mobiltelefon ans Ohr, fing den Blick des Kellners auf und fuhr mir mit einem Finger über den Handteller, gleichsam als stellte ich einen Scheck aus. Der Kellner lächelte gequält, warf einen Blick auf die eine Tasse, die vor mir stand, und kritzelte 2 £ auf die Rechnung.
»Anthony, mein Freund«, meldete sich Lermont. Dieses »Anthony« verriet mit sofort, dass jemand mithörte, der nicht zu wissen brauchte, dass ich Russe war. »Als du die ›Verliese‹ verlassen hast, wie ging es da meinem Mitarbeiter?«
»Gut.«
»Er ist ermordet worden, Anthony. Könntest du nicht herkommen?«
Ich zischte etwas, das die Zensur nicht passiert hätte, und kramte Kleingeld aus meinen Taschen. Also … erst die Burg, dann der Park und die Brücke …
»Wenn ich gleich ein Taxi kriege, bin ich in fünf Minuten da.«
»Beeil dich«, befahl Lermont.
Ein freies Taxi fand ich sofort, ich musste nicht einmal auf Magie zurückgreifen, um einen besetzten Wagen leer zu kriegen. In Edinburgh stand es mit den Taxis ohnehin ganz prächtig. Ich stieg ein, holte eine Zigarette heraus und steckte sie mir an. Der Fahrer quittierte das mit einem leicht unzufriedenen Blick, sagte jedoch nichts. Immerhin ließ ich auf meiner Seite das Fenster ganz herunter. Er hatte ja recht – wenn nach mir Nichtraucher einsteigen würden …
Doch ich wollte jetzt unbedingt rauchen.
Idiot! Was für ein Idiot ich doch war! Da geriet ich wegen Jegor in Aufruhr, machte mir um Valerija Sorgen … Aber meinen Kopf zum Denken zu benutzen – wofür ist er denn sonst da? –, darauf kam ich nicht. Mein Besuch in den »Verliesen« war nicht unbemerkt geblieben, irgendjemand hatte uns belauscht. Weshalb der arme Jean, dieser nervöse französische Student, nie wieder nach Nantes zurückkehren würde …
Und das war meine Schuld.
Aber was hatte sich Lermont eigentlich bei der Sache gedacht? Schloss die Einrichtung und stellte einen Menschen ab, um auf alles aufzupassen. Keinen Anderer^ keinen Kampfmagier, der sich mit einem Vampir von Gleich zu Gleich hätte auseinandersetzen können, sondern einen verschreckten, geschminkten Jungen im Faschingskostüm.
Ich stellte mir den rotblonden Jungen vor, wie er mit bleichem Gesicht – das jetzt allerdings nicht von der Schminke herrührte, sondern vom Blutverlust – zwischen den scheußlichen Folterwerkzeugen lag. Allein ist es hier aber nicht sehr gemütlich. Verzweifelt, jedoch nur halblaut fing ich an zu fluchen.
Was für ein Blödmann ich war, was für ein Blödmann …
Lermont
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