4 - Wächter der Ewigkeit
erwartete mich am Eingang zu den ›Verliesen‹. Er wirkte so finster und böse, wie es ein Lichter nur sein konnte.
»Gehen wir.« Ohne sich umzudrehen, stapfte er los. Raschen Schrittes durchliefen wir die leeren Räume und kamen zum Blutfluss. Schon wieder hier?
Foma stieg schweigend in ein Boot. Ich folgte ihm. Nachdem Foma mit der Hand herumgefuchtelt hatte, knirschte der Mechanismus auf, und das Boot setzte sich in Bewegung.
»Haben Sie schon die Polizei gerufen?«, fragte ich.
»Noch nicht. Nur meine Leute … und einen Beobachter der Dunklen.«
»Wo sind sie?«
»Ich habe sie gebeten, ein paar Räume weiter zu warten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich einen unabhängigen Experten zur Untersuchung der Leiche hinzuziehen möchte. Einen gewöhnlichen Menschen. Dich sollten wir vorerst aus dem Spiel lassen …«
Der Kahn kroch durch einen kurzen verdunkelten Abschnitt, dann legte er am zweiten »Ankerplatz« an.
»Nun denn«, sagte Foma finster.
Ich kletterte aus dem Boot und folgte Foma in den nächsten Raum. In dem Hinrichtungswerkzeuge ausgestellt waren. An der Decke hing eine Schaufensterpuppe mit einer Schlinge um den Hals, auf der Guillotine … o nein, das war keine Puppe. Abermals hatte der Mörder seinen Sinn für Humor unter Beweis gestellt.
Um einem Menschen den Kopf mit einem stumpfen Requisitenmesser eines Guillotinemodells abzuschlagen, braucht man übermenschliche Kräfte. Zum Beispiel die eines Vampirs.
In dem weißen Plastikeimer unter der Guillotine stand bis zur Hälfte Blut. Der abgehackte Kopf lag daneben.
Ich hockte mich hin, nahm den Kopf vorsichtig in die Hand. Schreien wollte ich – als mir mein Unvermögen, meine Dummheit aufgingen.
»Ich würde zu gern wissen, welches Schwein …«, brachte Foma hervor. »Der Mann hat siebzehn Jahre lang bei mir gearbeitet …«
»Das Schwein gibt sich als junger rotblonder Franzose aus«, erwiderte ich. »Als ein Franzose, der mit leichtem Akzent spricht. Der wie zwanzig aussieht. Es liebt theatralische Effekte. Ist höchst gewitzt. Und ein hervorragender Schauspieler.«
Behutsam bettete ich den abgehackten Kopf auf dem Fußboden. Sah den entgeisterten Lermont an. »Jemand hat mich wie einen kleinen Jungen an der Nase herumgeführt«, erklärte ich ihm. »Ich habe mit dem Mörder gesprochen, zwei Schritt von der Leiche entfernt. Und mir ist nichts aufgefallen. Nichts!«
Den Kopf des ermordeten Wachmanns zierte schwarzes Haar, durchzogen von einzelnen grauen Strähnen – wie es bei einem Mann von über fünfzig auch zu erwarten war. Blind blickte er vom Boden aus zu uns hoch. »Man kann seine Natur nur gegenüber Schwächeren verbergen.« Lermont durchbohrte mich mit einem ungläubigen Blick. »Das ist ein Axiom. Versuche meine Aura zu bestimmen.«
Ein seltsames Gespräch neben dem Körper eines Menschen mit abgehacktem Kopf. Ein seltsamer Ort, seltsame Verbrechen, seltsame Gespräche …
Die Aura Lermonts, lodernde gelb-grüne Funken, ein pikender Kraftigel, wurde trüb. Die Stacheln zogen sich ein, verblassten. Nur ein paar Sekunden später umgab Lermont die glatte, vielschichtige Aura, die charakteristisch für einen Menschen ist.
Ein untrügliches Merkmal eines Anderen ist die zerklüftete, aufgebrochene Aura. Sie kann sich in Spitzen und Zapfen aufstacheln, Trichter bilden, mit Ritzen klaffen. All diese Merkmale einer offenen energetischen Kontur signalisieren die Fähigkeit, nicht nur – wie die Menschen – Energie abzugeben, sondern sie auch aufzunehmen. Aufzunehmen, umzuarbeiten und Wunder zu schaffen.
Eine menschliche Aura ist glatt, vielschichtig und kompakt. Menschen geben die Kraft nur ab, nehmen sie aber nicht auf. Und die gleichmäßige Hülle der Aura stellt ihren Versuch dar, sich zu schützen, dem langsamen und unmerklichen Abfluss von Leben Einhalt zu gebieten.
Ja, jetzt sah Lermont wie ein Mensch aus.
Fast wie ein Mensch …
Als ich genauer hinschaute, bemerkte ich nämlich fahle Stacheln in seiner Aura. Foma hatte sich sehr gut maskiert. Doch ich konnte seine Verteidigung durchbrechen.
»Ja«, räumte ich ein. »Aber diesen jungen Franzosen habe ich nicht so genau sondiert. Seine Tarnung hätte funktionieren können.«
»Damit wäre dein rotblonder Gesprächspartner allerdings ein Hoher Vampir. Oder ein Hoher Magier, der sich als Vampir ausgibt.« Foma nickte zufrieden. »Niemals hätte er sich jedoch maskieren und gleichzeitig seine Aura tarnen können. Das ist gut, Anton! Das ist sogar sehr gut! Damit
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