4 - Wächter der Ewigkeit
Lera.
Ich dachte kurz nach. »Warum eigentlich nicht?«, meinte ich achselzuckend. »Wenn möglich, erwähnen Sie aber bitte meinen Besuch hier nicht, ja? Aber das, woran Sie sich erinnern, das können Sie erzählen.«
»Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie den Mörder gefunden haben?«
»Ganz bestimmt.«
»Sie lügen.« Lera schüttelte den Kopf. »Sie lügen … nichts werden Sie mir sagen.«
»Ich schicke Ihnen eine Postkarte«, versprach ich nach kurzem Schweigen. »Mit einer Ansicht Edinburghs. Wenn Sie diese Karte bekommen, bedeutet das, dass Viktor gerächt ist.«
Sie nickte. »Anton, wenn ich … was soll ich mit dem Kind machen?« Ihre Frage erwischte mich, als ich bereits an der Tür war.
»Das müssen Sie selbst entscheiden. Vergessen Sie nicht, dass niemals jemand etwas für Sie entscheidet. Weder der Präsident, noch Ihr Chef, noch ein guter Zauberer.«
»Ich bin neunzehn«, sagte Lera leise. »Ich habe Vitka geliebt. Aber er lebt nicht mehr. Mit zwanzig Jahren mit einem Kind, aber ohne Mann dazustehen …«
»Das ist Ihre Entscheidung. Aber trinken Sie so oder so nicht mehr«, bat ich sie.
Dann schloss ich die Tür hinter mir. Der Abend senkte sich herab, hinter mir lag schon eine schlaflose Nacht, verbracht in Flughäfen und Flugzeugen. Ich trank einen weiteren Kaffee und blickte bedauernd auf die Zapfhähne fürs Bier: Ein Pint würde jetzt genügen, um mich völlig auszuknocken. Dann rief ich Geser an, um ihm kurz darüber Bericht zu erstatten, was ich heute herausbekommen hatte.
»Ein Vampir im Moskauer Umfeld Viktors«, sinnierte Geser. »Danke, Anton, aber seine Moskauer Kontakte haben wir bereits vollständig überprüft … Gut, gehen wir sie noch einmal genauer durch. Wir werden alles ausgraben, angefangen beim Kindergarten. Was willst du jetzt machen?«
»Mich ausschlafen«, antwortete ich.
»Hast du schon erste Vermutungen?«
»Hier ist irgendwas im Gang, Geser. Ich weiß nicht genau, was, aber etwas sehr Großes.«
»Brauchst du Hilfe?«
Ich wollte schon ablehnen – da fiel mir Semjon ein.
»Falls Semjon nicht zu beschäftigt ist, Boris Ignatjewitsch …«
»Hat er solche Sehnsucht nach Schottland?«, schnaubte Geser. »Gut, ich schicke ihn dir. Wenn er nicht trödelt, trefft ihr euch morgen früh. Schlaf dich aus.«
Von Jegor erzählte ich nichts. Mit einem kurzen Blick auf den Anzeiger für den Ladezustand steckte ich das Handy weg. Komisch, die Batterie war noch voll. In Moskau gab das Handy innerhalb von einem Tag seinen Geist auf, obwohl ich es kaum benutzte. Und im Ausland funktionierte es problemlos eine ganze Woche lang. Ob das Netz hier besser war?
Blieb noch eine Sache. Eine unangenehme.
Ich holte die Wolfsfigur heraus und stellte sie auf den Tisch.
Verbindung, Hilfe, Rat?
Ich nahm die Figur in die Hand und schloss die Augen. »Sebulon«, rief ich innerlich.
Stille. Keine Antwort. Funktionierte sie vielleicht nicht so?
»Sebulon!«
Bildete ich mir das ein, oder spürte ich tatsächlich den Blick von jemandem auf mir?
Mir fiel wieder ein, dass Sebulon niemals sofort reagierte. Selbst dann nicht, wenn ihn seine Geliebte rief.
»Sebulon!«
»Was schreist du so, Gorodezki?«
Ich öffnete die Augen. Natürlich war niemand da.
»Ich brauche Rat, Dunkler.«
»Frag.«
Wie gut, dass in einem solchen Gespräch kaum Gefühle vermittelt werden. Vermutlich grinste Sebulon gerade. Ein Lichter wandte sich an ihn um Hilfe.
»Als der Spiegelmagier zu Ihnen gekommen ist, haben Sie ihn da gerufen, Sebulon?«
Diese Frage hatte er mit Sicherheit nicht erwartet.
»Der Spiegel? Witali Rohosa?«
»Ja.«
Eine Pause. Oh, er kannte die Antwort, ganz gewiss. Er entschied nur, ob er die Wahrheit sagen oder lügen sollte.
»Einen Spiegel kann man nicht rufen, Lichter. Ihn bringt das Zwielicht hervor.«
»Was muss passieren, damit ein Spiegel auftaucht?«
»Eine Seite der Kraft muss ein entscheidendes Übergewicht erlangen. Dieses Übergewicht muss schlagartig, muss zu schnell erworben sein. Der Spiegel ist gekommen, weil Geser Swetlanas Kraftniveau zu rasch angehoben, Olga abermals ins Spiel gebracht und … das Schicksal deiner zukünftigen Tochter umgeschrieben hat, indem er aus ihr die Höchste der Hohen gemacht hat.«
»Kann man vorhersehen, wer der nächste Spiegelmagier wird?«
»Ja. Es ist ein Anderer, dessen Ausgangskraft minimal ist. Er darf nicht initiiert sein. Er muss sowohl gegenüber dem Licht als auch gegenüber dem Dunkel Antipathien hegen. Oder umgekehrt:
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