4 - Wächter der Ewigkeit
schreienden, weinenden Kinder zu verfrachten, die von all dem nichts begriffen …
Und dieser König sollte das Symbol für Reinheit und Edelmut sein? Der in Legenden besungene Artus?
»Die Übereinstimmungen mit dem ruhmreichen Jungen aus dem Disney-Zeichentrickfilm sind nicht allzu groß, oder?«, fragte Lermont, als habe er meine Gedanken gelesen. »Oder mit dem wundervollen Magier, der ihn unter seine Fittiche nahm? Aber ihr dürft Artus keinen Vorwurf machen. Das war sein Schicksal. Diesem Lehrer musste er begegnen.«
»Wie hat Mordred überlebt?«, wollte ich wissen.
In Lermonts Augen funkelte es ironisch auf. »Das ist schwer zu sagen. Wie ist denn der Junge namens Artus zum Thronfolger geworden? Vielleicht hat Mordred gar nicht überlebt. Doch es gab Menschen, die dem Jungen erzählt haben, er sei der Sohn Artus’, der versucht habe, ihn als Baby zu ermorden. Spielt es eine Rolle, wessen Blut durch seine Adern floss? Entscheidend ist doch, wofür er sich selbst hielt.«
»Lebt er noch?«
»Mordred? Nein, natürlich nicht. Er war schließlich nur ein Mensch. Wie Artus auch. Sie sind vor sehr langer Zeit aus dieser Welt geschieden.«
»Und Merlin?«
»Auch er ist für immer ins Zwielicht gegangen …« Lermont nickte. »Aber Merlin war wirklich ein großer Magier. Meiner Ansicht nach sogar der größte Magier aller Zeiten. Ich glaube …« Er schielte zu Semjon hinüber. »… Merlin war ein Null-Magier.«
Ich nickte. Logisch. Eine magische »Temperatur« von null. Merlin hatte nicht einen Tropfen in den Strom jener Kraft abgegeben, die die Welt durchdringt – da er nicht über einen einzigen Tropfen verfügte. Gerade deshalb handelte es sich bei ihm um einen großen Magier. Er nahm fremde, durch den Raum wabernde Kraft auf- und wirkte mit ihrer Hilfe Wunder.
Solche starken Magier wurden weltweit nie wieder geboren.
Es kam jedoch eine Zauberin zur Welt. Meine Tochter. Nadja.
»Merlin hat einige Artefakte zurückgelassen«, fuhr Lermont fort. »Spielend hat er dergleichen geschaffen, als koste es ihn nicht die geringste Mühe. Da ist natürlich Excalibur. Dann der Umhang Merlins. Die Schale Merlins. Das Kristall Merlins. Der Stab Merlins.«
»Mit der Bezeichnung dieser Dinge hat er sich wohl nicht groß aufgehalten, oder?« Semjon lachte los, verstummte jedoch gleich wieder.
»Die Rune Merlins?«, fragte ich.
Lermont schüttelte den Kopf.
»Die Rune Merlins ist nur ein Schlüssel. Sie wurde bislang in Merlins Grab aufbewahrt, zweiundzwanzig Meilen von … von dem Ort entfernt, an dem man das Grab von Thomas Rhymer vermutet. Selbstverständlich ruht nicht Merlin im Grab, aber etwas von dem großen Magier ist dort niedergelegt worden. Ihr könnt mich für sentimental halten, doch ich habe schon oft mein Grab besucht. Zu Merlins Grab dagegen gehe ich nicht gern. Ich habe auf Schutzzauber vertraut. Was ein Fehler war. Das Grab ist geplündert worden.«
»Ich dachte immer, das Grab Merlins liege in der Bretagne«, brachte Semjon hervor.
»Nein. Südlich von Edinburgh. In der Nähe des Städtchens Peebles, am Zusammenfluss von Tweed und Powsail. Es ist nicht allzu weit von hier.«
»Und worum genau handelt es sich bei der Rune?«, fragte ich.
»Um einen Stein. Der bis zum Anschlag mit Magie aufgeladen ist und in den kaum zu entziffernde Zeichen eingeritzt sind. Die Rune Merlins …« Lermont blickte uns beide an, zögerte, fuhr dann aber doch fort: »… ist der Schlüssel, genauer gesagt, der Hauptteil des Schlüssels, mit dem man in ein Geheimversteck gelangt, das Merlin einst am Boden eines Sees angelegt hat. Den See gibt es schon lange nicht mehr, aber das Versteck hat natürlich überdauert.«
»Ein Versteck im Zwielicht!«, hakte ich nach.
»Ja.«
»In der fünften Schicht?«
Lermont seufzte. »Bis in die fünfte Schicht könnte ich es auch schaffen, mein junger Freund. Oder ich würde Geser rufen. Oder Andrew. Es würden sich Hohe finden, die bis in die fünfte Schicht vordringen könnten. Aber dieses Versteck hat Merlin geschaffen. Es liegt auf dem tiefsten Grund. Also in der siebten Schicht.«
»Hast du Töne!«, rief Semjon begeistert aus. »In der siebten? Dann gibt es die also tatsächlich, diese siebte? Das ist kein Märchen?«
»Es gibt sie. Mir ist nur nicht klar, wer von den heute auf dieser Welt Lebenden dorthin gelangen kann …« Lermont breitete die Arme aus.
»Und der Schlüssel? Die Rune?«
»Die Rune … Ich habe die Inschrift gelesen, sie erlaubt es, einen Hüter
Weitere Kostenlose Bücher