4 - Wächter der Ewigkeit
in der fünften Schicht zu passieren. Aber danach muss man noch weiter. Und das schaffe ich nicht.«
»Haben Sie es denn wenigstens einmal versucht?«, wollte ich wissen.
»Wozu?« Lermont fuchtelte mit den Händen. »Soll ich wirklich im Zwielicht nach Merlins Erbe herumsuchen? Du musst dir vor Augen halten, wie er veranlagt war, Anton … Glaubst du etwa, du würdest dort etwas Gutes vorfinden?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Man nimmt an, in dem Geheimversteck liege der Kranz der Schöpfung«, meinte Lermont. »Das klingt verführerisch, nicht wahr? Doch ich vertrete die Auffassung, der Kranz der Schöpfung bedeute letztendlich das Ende der Schöpfung.«
Semjon wollte schon den Mund öffnen, überlegte es sich dann aber und schwieg.
»Und die übrigen Teile des Schlüssels? Wie sehen die aus?«, fragte ich. »Ist das die Kristallene Krawattennadel Merlins? Oder der Alte Schuh Merlins?«
Lermont schüttelte den Kopf. »Das ist der unangenehmste Teil der Geschichte. Euch ist klar, dass um das Versteck herum Kraft aus unserer Welt in die entsprechende Schicht des Zwielichts sickert?«
»Ja.«
»Wenn ihr in den ›Verliesen‹ versucht, ins Zwielicht einzudringen, würdet ihr nur bis in die dritte Schicht gelangen. Dort stoßt ihr auf eine Barriere, einen Wirbel aus Kraft. Diese Barriere stellt das Gewicht dar, mit dem das Versteck am Boden des Universums gehalten wird, und schützt es gleichzeitig gegen Neugierige.«
»Es dürfte nicht so viele Neugierige geben, die in der Lage sind, bis in die dritte Schicht vorzudringen …«, brummte Semjon. Und rieb sich den Nacken. »Entschuldigen Sie, ich sage ja schon gar nichts mehr!«
»Die Rune Merlins kann also nicht helfen, weiter als bis in die dritte Schicht vorzudringen«, fuhr Foma fort. »Ich war überzeugt davon, dass niemand außer mir dieses Geheimnis kennt, und auch ich bin nur zufällig darauf gestoßen, als es zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Brücke einen Unfall gegeben hat … Eine junge Frau war auf eine spitze Eisenstange gefallen und hatte sich die Halsschlagader aufgeschlitzt.«
»Das Blut«, verstand ich.
»Ja. Wenn ein Mensch stirbt, tritt so viel Blut aus, dass das Zwielicht kurzfristig mit Energie übersättigt ist. Der Wirbel in der dritten Schicht kam zum Stehen und man konnte weitergehen.«
»Muss dafür unbedingt ein Mensch sterben?«, fragte ich.
»Das weiß ich nicht. Wie du dir denken kannst, habe ich das nicht überprüft. Konserviertes Blut funktioniert jedoch nicht, das ist sicher. Deshalb hat mich der Mord in den ›Verliesen‹ auch so beunruhigt. Doch die Schutzzauber am Grab Merlins waren nicht angerührt worden. Kein Mensch hatte sich dem Grab genähert, niemand hatte es geöffnet. Daraufhin habe ich mich beruhigt und alles einem Zufall zugeschrieben. Bis ich dann heute Nacht zum Grab gefahren bin.«
»Und festgestellt haben, dass es mit einem ferngesteuerten Gerät geöffnet worden ist«, ergänzte ich. »Oder nicht? Mit einer Art Roboter, wie sie in Atomkraftwerken eingesetzt werden?«
»Woher weißt du das?«, erkundigte sich Lermont.
»Gestern hat man mit so was auf mich geschossen.« Ich nickte zu dem Dreifuß mit dem Gewehr hinüber, den Semjon außen an die Laube gelehnt hatte. »Ein ferngesteuertes Maschinengewehr.«
Ohne jedes Interesse betrachtete Lermont die Waffe. »Wir sind alt geworden, Anton.« Er lächelte bitter. »Wir plustern uns auf, aber wir sind alt geworden … Geser, Al-Ashaf, Rustam, Giovanni, ich … alle sonstigen Alten, die die Welt noch ohne Elektrik kennen, ohne Dampflokomotiven und Schießpulver. Die ältesten Magier, die kundigsten … und wohl auch die stärksten. Wir haben die neue Generation unterschätzt. Raketen, Roboter, Telefone …« Er stülpte die Lippen vor. Schaute zu seinem adretten Häuschen hinüber – mit jener Sehnsucht, die ich bisweilen auch in Gesers Augen sah.
Vermutlich zwang mich ebendiese Sehnsucht, Geser alles zu verzeihen, was er auf dem Posten des Chefs der Nachtwache anrichtete.
»Einer der Jungen«, fuhr Foma fort. »Einer von den Jungen, Fähigen, die sich nicht scheuen, Technik einzusetzen.«
»Ich glaube, ich weiß, wer das ist«, flüsterte ich. »Kostja Sauschkin.«
»Der Hohe Vampir, der das Fuaran an sich gebracht hat?« Lermont runzelte die Stirn. »Diese Geschichte kenne ich. Aber er ist doch gestorben!«
»Niemand hat seinen Körper gesehen«, entgegnete ich. »Zumindest … hätte er keine Angst, Merlins Erbe an sich zu bringen. Und
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